Die alte Villa (German Edition)
sich niemals trauen, ihn anzusprechen.
Sie wusste nur zu gut, wie sich Männer von seinem Format verhalten würden.
Sich ihrer Wirkung auf Frauen jeden Alters bewusst, hatte sie die dämlichen Sprüche und wohlwollenden Komplimente quasi schon im Ohr. Nein, danke!
Doch dieser hier nahm die Sache gleich selber in die Hand und rief fröhlich zu ihnen herüber: „Na ihr zwei!“ Dabei zwinkerte er ihnen zu.
„Hallo,“ rief Hannelore zurück. „Wir wollten dich was fragen.“
Darum bewunderte sie Hannelore am allermeisten, dass sie anscheinend kein bisschen schüchtern war. Entspannt saß sie auf ihrer Decke, hatte die Arme um ihre molligen Beine geschlungen und trug noch nicht einmal ihre eigene Bademode. Das war wirklich cool!
Der Hüne kam zu ihnen herüber und setzte sich neben ihre Decke ins Gras. Er machte es sich gemütlich und schien es auch nicht besonders eilig zu haben, schaute zuerst starr nach vorne, um dann, in einer betont lässigen und ungeheuer kontrollierten Bewegung seinen Kopf zu drehen und den Blick auf die zwei Mädchen zu richten.
Über seinen tadellosen braungebrannten Körper legte sich ein interessantes Muster, gebildet von gebrochenen Sonnenstrahlen, die durch das Astwerk der hohen Buchen noch den Weg auf den Boden gefunden hatten. Das verlieh seiner Person etwas Geheimnisvolles und ließ ihn anders aussehen als alle anderen Besucher des Schwimmbades.
Die Konturen seiner Gestalt erschienen Rebecca plötzlich ungewöhnlich klar und deutlich. Eine Gänsehaut lief prickelnd über ihren Rücken. Mit großer Verwunderung nahm sie wahr, dass sich dazu ein Gefühl von unbändiger Freude gesellte. Was passierte hier mit ihr?
Der Hüne begann eine zwanglose Unterhaltung:
„Hi, ich bin der Torsten. Wollte mal schauen, was hier so los ist. Ich habe aber leider nur noch wenig Zeit und muss bald schon wieder gehen.“
„Ich bin die Hannelore.“
Er lächelte ihr zu und schaute dann erwartungsvoll zu Rebecca. Diese wurde rot und stammelte: „ Ich .. ähm, ich heiße Rebecca.“
Der Hüne schaute sie ernst an, lachte nicht, lächelte dann ein wenig.
Rebecca wurde es ganz heiß, ihr stockte regelrecht der Atem. Wie der sie ansah! Sie hatte noch niemals in so leuchtende Augen gesehen, die sich förmlich in sie hineinbohrten.
Warum fiel ihr gerade jetzt ein Satz von Carlos Castaneda ein?
‚Ich reise nur auf jenen Pfaden, auf denen ich einem Herz begegne, und auf jedem Pfad, der ein Herz hat, und die einzige Herausforderung, die es mir wert scheint, angenommen zu werden, besteht darin, diesen Pfad in seiner ganzen Länge zu beschreiten … atemlos und immerzu schauend.’
Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und sagte:
„Wir wollten schwimmen gehen und dich fragen, ob du auf unsere Sachen aufpassen kannst!“
„Wie lange wollt ihr denn planschen?“ fragte der Hüne und grinste.
„Ach ja, du musst ja bald schon gehen“, sagte Hannelore.
„Nee, nee, geht mal, ich warte hier auf euch, bis ihr euch ausreichend erfrischt habt…. Macht aber nicht zu lange….bitte“
Sie machten sich auf den Weg in Richtung Schwimmbecken und Rebecca bemerkte, dass sie ganz verkrampft war. Sie war sich sicher, dass der Typ, ach ja, Torsten hieß er ja, sie die ganze Zeit beobachten würde.
Als sie weit genug weg waren, sagte Hannelore: „Mensch, ist das ein Supermann! Hast du die Muskeln gesehen? Aber ein bisschen alt, oder was meinst du?“
Rebecca antwortete nicht. Sie mühte sich nur ein Grinsen ab. Dann hatten sie endlich das Becken erreicht, duschten sich eiskalt ab und Rebecca hechtete mit einem eleganten Kopfsprung ins Wasser.
~
30.Mai 1979
„Hexe, Hexe!“
Die 2 kleinen Lausbuben sprangen hinter einem Gestrüpp hervor und zeigten der alten Frau eine lange Nase. Als die Alte die Kinder entdeckte, machte sie einen schnellen Schritt auf die beiden zu, die erschrocken und laut schreiend davon liefen, um dann, als sie sich weit genug entfernt hatten, so dass sie sich in Sicherheit wiegen konnten, in lautes Gelächter auszubrechen.
Die Alte schnaufte und grinste dann ein wenig in sich hinein. Dumme Jungs!
Der Karren, den sie zog, war randvoll mit selbstgemachten Köstlichkeiten, für die sie das ganze Jahr über in ihrem Garten ackerte: Thymiansirup, Rosmarinöl, Schwedenbitter, Traubenessig und viele kleine Büschel getrockneter Kräuter, die sie mit bunten Bändern an eine Kordel gehängt hatte. Diese Kordel verlief rundherum um das Holzgestell ihres
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