Die alte Villa (German Edition)
noch genau an den Geruch des Arztkittels erinnern, an den heißen Atem des Doktors auf ihrem Gesicht und an die furchtbaren Schmerzen, als er sich schließlich mit aller Härte an ihr verging. Die ganze Zeit über hatte sie die Augen geschlossen gehalten und auch, als es endlich vorbei war, wagte sie nicht sie wieder aufzumachen.
Sie war einfach dort liegen geblieben, zitternd und leise vor sich hin wimmernd, bis der Doktor sie recht unsanft von der Liege gezogen und ihr befohlen hatte, dass sie sich wieder anziehen solle. Im Hinausgehen hatte sie noch gesehen, wie er mit einem Lappen eilig die Liege säuberte. Danach war er zu ihr in den kleinen Umkleideraum gekommen und hatte plötzlich wieder ganz sanft und ruhig mit ihr gesprochen. Er hatte sich eine Zigarette angesteckt und gelächelt. Sie konnte sich noch genau an seine Worte erinnern: „Na, war doch gar nicht so schlimm, oder?“
Schon eine Woche später sollte sich diese Tortur wiederholen und von da an musste sie etwa alle zwei Wochen in das Arztzimmer kommen, wo sie der Doktor immer allein erwartete.
Wie versteinert betrat sie jedes Mal das Zimmer und wartete auf die Befehle des Doktors, die sie dann wie eine Marionette befolgt hatte.
Wem hätte sie sich denn anvertrauen können? Der Doktor war ein sehr angesehener Mann gewesen und man hätte ihr niemals Glauben geschenkt, das war ihr klar.
Dann hatte sie versucht, ihr Geheimnis Gott anzuvertrauen, aber auch diesem schien die ganze Sache zu missfallen. Immer wenn sie ihre Gedanken auf dieses Thema gelenkt hatte, meinte sie ein böses Grollen zu vernehmen, das entweder tief aus ihrem Innern oder aber direkt vom Himmel herabkam.
Sie hatte sich sündig und unrein gefühlt und sich selber dafür gehasst, was ihr angetan wurde. Appetit hatte sie kaum noch gehabt und so war sie zusehends noch magerer geworden.
Heute, im Rückblick auf diese Zeit, konnte sie nicht einmal mehr mit Sicherheit sagen, wie viele Jahre sie Opfer des Missbrauchs gewesen war. Irgendeine Stimme in ihrem Inneren mahnte sie zum Vergessen. Jede Erinnerung daran war gleichbedeutend mit einer unerträglich peinigenden Selbstkasteiung.
Eines Tages war der kleine runde Bauch an ihrem abgemagerten Körper nicht mehr zu übersehen gewesen und sie hatte geahnt, was sich da in ihr entwickeln würde.
Wie hatte sie sich vor dem Moment gefürchtet, an dem ihr Zustand einer der Schwestern auffallen würde. Aber der Tag, an dem sie wegen ihrer Schwangerschaft von den Schwestern verstoßen werden würde, war niemals gekommen.
Zu ihrem großen Erstaunen hatte man sie nun sogar besonders gut versorgt und gegen Ende der Schwangerschaft hatte sie insgesamt deutlich an Gewicht zugelegt. Sogar ihre spitzen Gesichtszüge waren verschwunden, ihre Wangen dagegen voll und rosig geworden.
Und noch etwas Gutes hatte diese ungewollte Schwangerschaft mit sich gebracht, da sie von dem Doktor nun in Ruhe gelassen wurde und niemals mehr in sein Untersuchungszimmer gerufen worden war.
Eines Tages hatte er zu ihr gesagt, dass er jetzt nicht mehr mit ihr schlafen könnte.
Dieser Satz hatte für sie äußerst merkwürdig geklungen, denn sie hatte ja niemals geschlafen dabei, sondern war in jeder Sekunde des Geschehens immer hellwach gewesen.
Nach der Entbindung, die unter der Leitung des Kinderheimarztes, der ja in diesem Fall auch der leibliche Vater des Kindes war, statt gefunden hatte, beobachtete sie mit Tränen der Rührung in den Augen, wie die Schwestern das winzige Baby badeten und anzogen.
Es hatte nur kurz gebrüllt, dann war es still gewesen und hatte das kleine zerknitterte Gesicht zu sonderbaren Grimassen verzogen.
Die ganze Zeit hatte sie sich danach gesehnt, ihr Kind endlich auf den Arm nehmen zu können, doch wurde ihr dieser Wunsch nicht erfüllt, stattdessen brachte man das Kind eilends aus dem Raum und fort von seiner leiblichen Mutter.
Und obwohl sie von diesem Tag an ein gebrochener Mensch gewesen war, hatte sie sich wieder ohne ein einziges Wort des Protestes in ihr Schicksal gefügt.
Nur ein einziges Mal hatte sie gewagt zu fragen, was mit ihrem Kind passiert sei. Man hatte ihr darauf geantwortet, dass es in gute Hände gekommen wäre.
Vor dem Doktor hatte sie fortan Ruhe und ihr Leben verlief geordnet und nach einem strengen Zeitplan, woran sie sich regelrecht festklammerte, um nur nicht den Halt unter ihren Füßen zu verlieren. Sie empfand es damals als Gnade, dass man sie in ihrem 21. Lebensjahr in den Orden der
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