Die alte Villa (German Edition)
Boten Ausschau halten. Dabei würde sie vielleicht den Kummer mit Torsten ein wenig vergessen können…
Als sie ihr Fahrrad aus dem gemeinschaftlich genutzten Fahrradkeller holen wollte, beschlich sie das vertraute Gefühl, dass sie beobachtet wurde.
Dieses Gefühl machte ihr zwar keine Angst, da sie damit aufgewachsen war.
Doch empfand sie dieses vertraute ‚Spielchen’ an Tagen wie heute, an denen sie einfach nur schlecht drauf war, nur noch als nervtötend.
Gerade wollte sie den Mund aufmachen, um den heimlichen Beobachter aus seinem Versteck zu scheuchen, da besann sie sich plötzlich auf Majas Worte. ‚Bedingungslose Liebe..’
Sie musste über sich lächeln. Über ihre Dummheit und die Dummheit der ganzen Menschheit. Gequält zunächst, dann erreichte ihr eigenes Lächeln im Verbund mit ihren veränderten Gedanken ihr Herz und sie begann nur noch zu staunen. Über sich selber und die Stimmen, die sich ihrer bemächtigten.
„ Wieso greifst du so gierig nach den Sternen, die Millionen von Lichtjahren entfernt und so verlockend am Himmel glitzern, dass du die Welt direkt vor der eigenen Nase glatt übersiehst und blind bist für die Aufgaben, die dir hier und jetzt vielleicht gestellt werden könnten…?“
„Rolf.?“, fragte sie vorsichtig in den stickigen Kellerraum hinein.
„Komm heraus und zeig dich!“
Natürlich rührte sich nichts. Doch in diesem Nichts war nun ganz deutlich etwas zu spüren. Etwas, das vermutlich immer schon da gewesen war. Um es wahrzunehmen, musste man anders als nur mit seinen Ohren hören.
Gespannt horchte sie in die Stille, darauf hoffend, irgendeine Äußerung erlauschen zu können.
Und dann ‚hörte’ sie es tatsächlich! Es kam ihr fast so vor, als atmete der ganze Raum panisch und voller Angst, entdeckt zu werden.
Es schien, als wäre eine Verbindung hergestellt. Zwischen Rolf, dem Raum und ihr selbst. Unsichtbar, aber voller Macht.
„Gut, dann bleib einfach wo du bist. Ich wollte dir nur sagen, dass ich nicht mehr böse auf dich bin und dass du gerne zu mir kommen kannst, wenn du möchtest, zum Reden oder so...“ Sie blieb noch für ein paar Sekunden bewegungslos stehen, dann spürte sie eine gewaltige Welle durch ihren Körper brausen. Sie bestand aus Mitgefühl, tief vergrabenem Ärger, Wut und anscheinend auch aus etwas salzigem Wasser, das ihr so überraschend in die Augen schoss, dass sie sich nun beeilte, den Fahrradkeller so schnell als möglich zu verlassen. Nicht, dass Rolf sie hier noch weinen sehen musste..
Schnell hastete sie mit ihrem Rad unter dem Arm die Kellertreppe hinauf und schwang sich, oben angekommen, schwungvoll auf den Sattel .
Oh mein Gott, Rolf! Es tut mir so leid.
Und es überkam sie eine ganz reale Ahnung davon, was Maja mit ih rer bedingungslosen Liebe gemeint haben könnte.
Überall in den Gärten blühten Krokusse und auch schon ein paar gelbe Narzissen leuchteten farbenfroh dazwischen. Die Luft duftete nach Frühling.
Rebecca fragte sich jedes Jahr aufs Neue, woher dieser Frühlingsduft kam, den man selbst dort noch wahrnahm, wo weit und breit nichts Blühendes zu sehen war. Und jedes Mal löste dieser Duft ein Hochgefühl in ihr aus, das ihr einen unglaublichen Energieschub verpasste, so dass sie vor Freude und Übermut am liebsten getanzt hätte.
Beschwingt bog sie von der ruhigen Seitenstraße in einen Waldweg ein.
Hier blühten unzählige weiße Buschwindröschen und überzogen weite Flächen des Waldbodens wie ein löchriges weißes Betttuch. Sie wäre gerne zu einem der Baumriesen gegangen, die nicht weit vom Weg standen, aber heute waren einfach zu viele Menschen unterwegs und da hatte sie keine Lust dazu.
Gerade überlegte sie, ob sie noch einen Abstecher zu Tamara machen sollte und fuhr dabei schon wie von selbst aus dem Wald hinaus in die Straße, in der die alte Villa stand.
Im Garten vor der Villa leuchteten zahllose gelbe und pinkfarbene Primeln und eine Menge knallrote kleine botanische Tulpen gaben der Pflanzung des Vorgartens einen gepflegten und erhabenen Charakter.
Eine dicke Hummel flog dicht an ihr vorbei und steuerte zielgenau die Blüte einer Narzisse an. Es faszinierte sie immer wieder aufs Neue, Tiere in ihren natürlichen Lebensräumen zu beobachten und gerade fiel ihr sogar eine Erklärung dafür ein: Es musste ihre große Hingabe sein, mit der sie ihrer Bestimmung folgten. Das war es vor allem, was sie so sehr beim Betrachten von allen wild lebenden Tieren berührte und immer schon
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