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Die Amazonen

Titel: Die Amazonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hedwig Appelt
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in jedem Fall unberührt war. Die Amazonen jedoch dachten nicht daran, diesen Begriff von Jungfräulichkeit zu übernehmen und Vorreiterinnen des griechischen Gesellschaftsmodells zu werden, |39| in dem die Frauen zur Bedeutungslosigkeit verurteilt waren. Sie übernahmen die aktive Rolle im Zeugungsakt und taten das Nächstliegende: Sie nahmen sich die Männer, die ihnen sozusagen über den Weg liefen. In der Regel waren das Angehörige von Nachbarvölkern, die von den Amazonen besiegt und dann in Ruhe gelassen wurden. Diese Männer hegten keinerlei Ressentiments gegen ihre Überwinderinnen. Im Gegenteil: Sie begegneten ihnen voller Respekt und erfüllten ihren Wunsch nach Kindern umso bereitwilliger, als er offenbar ihren eigenen Wünschen in Bezug auf diese gefährlich attraktiven jungen Frauen entsprach.
    Was sich zwischen den Männern und Frauen abspielte, war freier Sex in freier Natur, mit freier Partnerwahl und aus freiem Willen. Natürlich kam auch das den Griechen zu Ohren, die darin eine weitere Grenzverletzung sahen: die zwischen Menschen und Tieren. Die Empörung über diese animalischen Liebesakte zu Zeugungszwecken war mindestens ebenso groß wie die Neugierde, Näheres zu erfahren.
    Empörend naturnah aus Sicht der einen, war die Begegnung für die anderen ein festlicher Akt. Im Frühling eines jeden Jahres, so bestimmten es die Amazonen, sollten die Frauen sich mit den Männern treffen. Nur diejenigen Amazonen, die mindestens drei Feinde getötet hatten, wurden als würdig erachtet, Mutter zu werden. Sie durften ihren Gürtel, der sie als Kriegerin und Jungfrau auswies, lösen oder lösen lassen, sie durften den aktiven oder passiven Part spielen, einmal oder während der acht Festwochen immer wieder mit Männern schlafen, sie durften genießen und Genuss verschaffen – nur verlieben durften sie sich nicht. Die den Griechen so tierisch anmutende Promiskuität war für die Frauen notwendig, um ihre Souveränität zu wahren. Sie sollten nach den zwei Monaten, die auch eine Art „Auszeit“ von Arbeit, Krieg und Entbehrungen bedeuteten und entsprechend sinnlich und ausgelassen gefeiert wurden, nach Themiskyra zurückkehren und nach Möglichkeit ein Kind in sich tragen, keinesfalls jedoch einen Gedanken |40| an den Vater. Mit Glück erblickte neun Monate später eine neue Staatsbürgerin das Licht der Welt.
    Die neugeborenen Mädchen wurden mit Stutenmilch aufgezogen, die den Säugling nicht nur ernähren, sondern ihm gleichzeitig Mut, Lebhaftigkeit und Liebe zum Krieg einflößen sollte. Zusätzlich gab es statt Getreidebrei Honig und Tau, den die Mütter morgens von Blüten und Kräutern sammelten. Damit sollten die Babys alles Süße und Herbe ihres Landes verinnerlichen, die Kraft, an den rauen Bedingungen zu wachsen und unter ihnen zu gedeihen. Ihre Spielgefährten waren die Pferde, ihr Spielzeug Pfeil und Bogen, ihr Leben an der Seite von Amazonen-Müttern machte sie zu Expertinnen auf den Gebieten der Strategie und Taktik.
    Wenn ein Junge zur Welt kam, schickte ihn die Mutter zum Volk seines Vaters zurück. Jeder Mann dort war bereit, das Kind aufzunehmen und großzuziehen, es hätte ja sein eigenes sein können. Und in dieser Bereitschaft lag auch ein gewisser Stolz auf die Abstammung des Säuglings. Wer den Sohn einer Amazone als sein Kind aufnahm, galt in der kollektiven Phantasie des Stammes als einer, der freiwillig die größtmögliche Nähe zu einer tödlichen Gefahr gesucht und an Überraschung, Erfahrung und Lust so viel gewonnen hatte, dass er um diese Begegnung beneidet und bewundert wurde.
    Die Amazonen waren zu einer unangreifbaren Größe geworden, und es war unvorstellbar, dass jemand freiwillig den Konflikt mit ihnen gesucht hätte. Auch König Eurystheus, der über das griechische Tiryns herrschte, hatte von den Männer mordenden Steppenkriegerinnen gehört und den Plan gefasst, sie für seine Zwecke zu gebrauchen. Er hoffte, dass die Begegnung, die er gerade einfädelte, in einem Kampf eskalieren würde und die Amazonen den Mann zur Strecke bringen würden, mit dem er es selbst nicht aufnehmen konnte: Herakles.

|41| Amazone versus Frau
    Der Auftrag des Herakles: der Gürtel der Amazonenkönigin Hippolyte
    Aus diesem Grund schickte er Herakles nach Themiskyra, um den Gürtel der Amazonenkönigin Hippolyte einzufordern. In Wahrheit hatte Eurystheus weder Interesse an dem Gürtel noch Verwendung für ihn. Der Befehl war nichts anderes als ein schlecht kaschierter Mordversuch.

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