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Die Amazonen

Titel: Die Amazonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hedwig Appelt
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auf, sich lautstark zu bekriegen.
    Hier schlugen die Amazonen ihr Lager auf. Die Botschafterinnen kehrten mit einem Willkommensgruß von König Priamos zurück, der für Penthesilea und ihr Gefolge das große Skäische Tor öffnen ließ. Begleitet von zwölf Amazonen ritt die Königin durch den Schatten einer großen Eiche die breite, sich lang hinziehende Rampe zum Tor hinauf. Rechts und links dieses Zugangs standen Menschen, denen die Tränen über das Gesicht liefen, während sie lachten und winkten. Frauen sanken auf die Knie vor den Fremden, die als Retterinnen ihrer Männer und Kinder gekommen waren, obwohl die Kleinen beim Anblick der Kriegerinnen vor Angst schrien und sich an ihre Mütter pressten. Aber das kindliche Weinen ging unter im lautstarken Freudentaumel der Erwachsenen.
    Oben aus dem Tor trat jetzt der alte König selbst. Trauer und Sorge hatten ihn altern lassen, sodass der tief Gebeugte gestützt werden musste. Sein dünner Arm lag auf der Schulter seiner Schwiegertochter, die zu seiner Rechten ging. So näherte sich nicht nur ein König einer Königin, sondern auch eine Frau einer anderen. Und die Augen der Menschen wanderten zwischen Penthesilea und Helena hin und her, ihre Stimmen wurden leiser, während der Schatten eines Staunens über die Gesichter glitt. Es war Krieg, es herrschten Not, Trauer und Verzweiflung, aber dennoch war nicht zu übersehen, dass in diesem Augenblick die |96| schönste Frau der bekannten Welt die schönste der unbekannten traf. Still stand die Menschenmenge, gerührt von so viel Anmut und zum Leben verführender Schönheit, dass mancher für sich an die Gottgesandtheit der Amazonenkönigin zu glauben begann: Der Reiz der einen hatte Troja zur belagerten Stadt gemacht; es musste ein Zeichen der stadtbeschützenden Aphrodite sein, dass jetzt eine andere, von gleicher, nur dunklerer Schönheit kam, um die Stadt zu befreien. König Priamos selbst schien dieser Meinung zu sein, als er Penthesilea innig wie eine Tochter begrüßte. Die Hände, mit denen er der Amazone, die bei seinem Anblick vom Pferd gestiegen war, über das Haar strich, zitterten, aber in seine Augen kehrte das Leben zurück, der Gedanke an Rettung, die verwegene Phantasie eines Sieges. So ging es allen Menschen in der Stadt, die wie Gefangene hinter den dicken Mauern lebten und ihre Äcker nicht mehr bestellen, das Vieh kaum mehr weiden konnten. Sie wagten wieder, daran zu denken, wie es wäre, frei zu sein.
    Wie um diese Phantasie zu beschwören, gaben sie freigiebig alles, was die Hunger leidende Stadt noch an Vorräten hatte, um die Amazonen reichlich bewirten zu können. Auch ihren Pferden brachte man Tröge voller Weizen, dazu Wasser, das mit Wein vermischt war. Die Königin und ihr persönliches Gefolge wurden als Priamos’ Gäste auf der Burg bewirtet und untergebracht, wo sie weich und warm wie selten dem Tag des Sieges entgegenschliefen.
    Leise wie jeden Morgen betrat Eos, die Göttin der Morgenröte, den Raum, in dem Penthesilea schlief. Sie sah das furchtbare Blutbad voraus und zögerte, bevor sie über die schlafwarmen Wangen der Amazonenkönigin strich, die bei der ersten Berührung erwachte. Sie lächelte, weil sie Ares’ Gegenwart spürte und seine Worte wieder hörte: „Er ist deine Beute, der Beste von allen, ihn habe ich dir bestimmt, denn er allein ist deiner und der Tochter, die er dir geben wird, würdig. Geh jetzt und waffne dich, er wartet auf dich!“

    |97| Er sollte nicht mehr lange warten. Penthesilea legte ihre Rüstung an, als wäre jedes Teil ein Schmuckstück. Bein- und Armschienen waren eng sitzende, dafür leichte und filigrane Goldarbeiten, die sich auf dem breiten, mit goldenen Jagdmotiven durchsetzten Gürtel wiederholten, in den sie jetzt die gefürchtete zweischneidige Streitaxt einklinkte. Dann nahm sie den Köcher mit den sorgfältig gereinigten und gespitzten Pfeilen über die Schulter und setzte den Helm auf, der über die Stirn reichte und am Rand nicht gerade verlief, sondern dem Schwung der Augenbraue folgte, sich zur Nasenwurzel senkte und noch einmal aufschwang. Wie eine Miniaturausgabe des Amazonenschildes bildete diese Stirnpartie den Halbmond nach, der nach asiatischer Art am Himmel lag. Über den Brauen war der Bogen jeweils mit Edelsteinen besetzt, die ein irritierendes Spiel mit dem Glanz der Augen unterhielten. Wer unvermutet einer so gerüsteten Amazone gegenübertrat, musste für entscheidende Bruchteile einer Sekunde davon ausgehen, dass etwas

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