Die Amazonen
Unmenschliches, Vieläugiges vor ihm stand, und zu Tode erschrecken. Das so geschockte Opfer war für die Amazonen dann eine besonders leichte Beute.
Zuletzt nahm Penthesilea den Speer in die linke Hand und griff mit der rechten nach dem Schild. Er war handlich und leicht, die Kampfkraft der Amazonen lag ja in ihren schnellen Attacken und Rückzügen, trotzdem war ein Schild im Nahkampf unverzichtbar. Dank seiner kam es aber nicht mehr oft zu direkten Feindberührungen. Jeder Krieger hatte von dieser halben Scheibe mit den weit aufwärts gebogenen Hörnern gehört, und keiner ließ sich von der Zierlichkeit dieser Waffe täuschen, mochte es noch so anmutig aussehen, wenn eine Amazone – wie jetzt Penthesilea – den Kopf senkte, um die Oberfläche auf Unversehrtheit zu prüfen.
Auch die Griechen hatten das anrückende Heer gesehen. Mitten in die Freude über den geschwächten Gegner war die Nachricht von der Ankunft der Amazonen geplatzt, und wieder rüsteten sich die Männer zum Kampf. Viele taten es trotzig, manche mit |98| bangem Gefühl, fast alle glaubten, dass es die letzte große Entscheidungsschlacht sein würde. Und alle hatten Angst, bis auf einen, der dafür keinen Platz in sich hatte, weil er angesichts des Frauenheeres vor Zorn kochte. Achill fühlte sich zum Gespött der Götter und Menschen gemacht. Er hatte Hektor überwunden und war bereit, für diesen Ruhm das eigene Leben zu lassen. Jetzt schickten die Götter eine Frau, die ihm den Tod bringen sollte. Auf vieles war er gefasst gewesen und hatte Stunden damit verbracht, die Worte seiner Mutter – „bald nach Hektor ist dir der Tod beschieden“ – wieder und wieder zu hören. Welche Art Tod war ihm wohl zugedacht? Ein Heldentod würde es sein, da war er sich sicher, und im Geist die Reihen der Feinde durchgehend kam er zu dem Schluss, dass nur mehr ein Gott ihm ebenbürtig war. Die innere Bereitschaft, von der Hand Apolls oder Ares’ selbst zu sterben, hatte ihn in einen Zustand ruhiger Erwartung versetzt, aus dem ihn diese Frauen jetzt herausrissen. Kein Gott, kein Mann, nein, eine Frau war gekommen, ihn zu töten. Achill, eine Amazonenbeute!
Keine Regung von menschlicher Demut milderte den kalten Hass auf Götter und Menschen, den Achill in diesen Augenblicken empfand. Es war ihm, als könne er jetzt erst klar sehen, dass er die ganze Zeit über ein Spielball göttlicher Launen gewesen war. Sie hatten ihn in dem Glauben gelassen, dass Zeus ihn, den besten der Griechen, aus Liebe und Pflicht unterstützte. Stolz hatte er seinen Sieg über Hektor wie ein Geschenk der Götter empfangen und sich im Gegenzug auf sein tragisches Ende vorbereitet. Aber in Wahrheit, das leuchtete Achill nun unmittelbar ein, hatte Zeus ihm nur erlaubt, den Helden zu spielen, um seinen Fall, seinen Kniefall vor einer Frau, noch besser auskosten zu können. Ein von langer Hand geplantes göttliches Vergnügen. Achill hörte sein eigenes Blut in den Ohren rauschen, ein Echo des schallenden Gelächters vom Olymp herunter. Auch im eigenen Lager machten Sticheleien die Runde, seit die ersten Wachen die Ankunft der Amazonen gemeldet hatten. Aber Achill hatte |99| keinen Sinn dafür, dass sich hinter Männerwitzen auch Angst verbergen konnte. Er sah nur sich, seinen Ruhm, sein Nachleben für immer geschändet.
Besessen von dem Gedanken, dass sein Leben zur Verfehlung bestimmt sein sollte, schuf er auch seine Erinnerung von diesem Ende her neu. Bitter stieß es ihm plötzlich auf, dass Thetis ihm nicht zur Unsterblichkeit verholfen hatte, als sie ihn geboren hatte. Dass sie seinen Vater und ihn verlassen hatte, bekam eine neue Bedeutung. Die Götter hatten ihn nie gemocht, sonst hätten sie seine Mutter nicht dazu überredet. Und warum hatte sein Vater ihn in Mädchenkleider gezwungen und unter dem Frauenvolk versteckt? Es hieß, er wollte ihn vor dem prophezeiten Tod in Troja bewahren. Hätte er ihn nicht genauso gut aufs Land schicken, unter Ziegen- und Schafhirten verbergen können? Verkannte göttliche Zeichen waren diese Demütigungen in Kindheit und Jugend gewesen, eine Vorausschau auf das, was die Olympischen bei seinem Ende vorhatten. Mit tiefen Falten grub sich diese Erkenntnis in sein Gesicht ein. Seine Augen sahen nichts mehr von der Welt um ihn herum, wie eine Mauer schirmten sie sein tief verletztes Inneres ab.
Er nahm die Rüstung vom Haken, legte den Panzer an, für den Hephaistos Erz und Zinn, Gold und Silber zu einer unzerstörbaren Mischung
Weitere Kostenlose Bücher