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Die Amazonen

Titel: Die Amazonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hedwig Appelt
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und kannte sie von klein auf: Wie Hippolyte sich in Theseus verliebte, der mit Herakles nach Themiskyra gekommen war, und wie das Volk der Amazonen an eine Entführung glaubte, weil ein solcher Verrat ihrer Königin undenkbar schien und sich die furchtbare Wahrheit erst in dem blutigen Krieg |126| zeigte, der den Staat der Amazonen fast um seine Existenz gebracht hätte.
    Sie erinnerte sich daran, dass das Unmögliche, Undenkbare ein zweites Mal geschehen war. Die Liebe zu Achill riss Penthesilea dazu hin, ihr Volk zu betrügen und es mit dem Versprechen, von großen griechischen Helden Amazonen-Nachwuchs zu erhalten, nach Troja zu locken. Für den Betrug büßte Penthesilea, selbst eine Betrogene, mit dem Leben. Und die Amazonen schworen sich fortan, den Kontakt mit der Welt der Griechen zu meiden.
    So hatten sie überlebt, zurückgefunden zu ihren Wurzeln und ihrer Lebensart – bis jetzt. Nun stand Alexander in Asien, der griechisch erzogene makedonische König, und mit ihm waren die Schatten der Vergangenheit zurückgekommen. Für Thalestris war es, als stünden Herakles und Achill an den Grenzen ihres Reiches, und sie fragte sich, was die Wiederkehr der Vergangenheit zu bedeuten hatte.
    Sie saß im lichten Schatten einer Birke und dachte darüber nach, wie sie Alexander begegnen sollte. Neben ihr weideten die Pferde. Das Rupfen und Malmen, Schnauben und Schweifschlagen hatte etwas Beruhigendes, und Thalestris ließ sich von den vertrauten Geräuschen mitnehmen in eine friedliche Welt.
    Die Königin lehnte sich zurück an den glatten Stamm mit der weißen Rinde und den schwarzen Borken. Gedankenverloren zupfte sie an der hauchdünnen Schicht und zog ein Birkenhautröllchen nach oben, hell und dunkel, schwarz und weiß. Sie zog weiter an den wie Pergament aufgerollten Rindenstücken, unter denen ein glatter heller Stamm zum Vorschein kam. Mit aller Vorsicht und Aufmerksamkeit war sie jetzt bei ihrem Tun, von dessen Sinn und Zweck sie nichts wusste, nur spürte, dass sie sich vorarbeitete zu einer Schicht, die verborgen in ihr ruhte.
    Mit beiden Händen voll federleichter Röllchen stand sie vor der Birke und ahnte, dass das Schwarzweiß ihrer Musterung eine |127| unbekannte Schrift war, die sie entziffern musste. Sie sah hinauf in die Zweige, mit denen der Wind spielte, sah die kleinen, frischen, herzförmigen Blätter, die vor dem blauen Himmel strahlten, und spürte beim Anblick des zarten Grüns großes Glück in sich aufsteigen. Der Wind unterbrach sein Wiegen und strich mit einem Mal an ihr entlang, pustete ihr Haar zurück und wisperte ihr ins Ohr, was sie die ganze Zeit gewusst hatte:
    Das Schwarze und Weiße waren Alexander und sie. Wie die Rinde den Stamm umhüllten sie eine Vergangenheit, die in ihnen weiterlebte: Herakles, Theseus und Achill in Alexander, Hippolyte und Penthesilea in ihr.
    Durch sie beide und nur durch sie könnte alles, was gewesen war, neu geschrieben werden. Eine Geschichte, in der die Helden und Königinnen doch noch zusammenfinden und eine neue Generation von Amazonen begründen, gemacht aus dem Besten der Menschen und Götter. Die Last der Vergangenheit wäre von ihnen genommen, denn der gefährlichste und stärkste Gegner war nun Teil ihrer selbst.
    Damit das geschehen konnte, musste sie Alexander bitten, mit ihr ein Kind zu zeugen, in dem seine und ihre Vorfahren sich vereinigten.

    Begleitet von dem größeren der beiden Heere ritt die Königin Alexander entgegen. Als sie nur noch ein paar Stunden von seinem Lager entfernt war, befahl sie anzuhalten und schickte Botinnen voraus, die dem König melden sollten, dass sie mit ihm zu sprechen wünsche.
    Alexander war mächtig genug, seine Neugierde nicht verbergen zu müssen. Er schickte die Amazonen mit der Nachricht zurück, der Besuch ihrer Königin bedeute ihm eine hohe Ehre, und er heiße sie und ihr Gefolge herzlich willkommen.
    Daraufhin ließ Thalestris den Großteil des Heeres zurück und kam mit einem persönlichen Gefolge von 300 Amazonen im Quartier des Feldherrn an. Der König selbst ging ihr entgegen, |128| begrüßte sie freundlich und fragte ohne Umschweife, ob sie ein bestimmtes Anliegen habe.
    Thalestris antwortete nicht gleich, sondern musterte ihn erstaunt vom Pferd herunter, und Alexander bemerkte sehr wohl, dass sie immer enttäuschter aussah, je gründlicher sie ihn in Augenschein nahm.
    Die Königin hatte einen anderen Mann erwartet, weil sie davon ausgegangen war, dass das Äußere eines Menschen seinem

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