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Die Amazonen

Titel: Die Amazonen
Autoren: Hedwig Appelt
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Inneren entsprach. Von den großen Taten des Makedoniers, die man allerorts zu hören bekam, war aber nichts, rein gar nichts zu sehen. Vor ihr stand ein höchstens mittelgroßer, schlanker Mann mit wachen Augen in einem fein geschnittenen Gesicht, der sich unbefangen betrachten ließ und ebenso unverhohlen die Amazone in Augenschein nahm, die inzwischen von Pferd gestiegen war und nun mit zwei Lanzen in der Hand vor ihm stand. Sie hielt sie wie Hoheitszeichen, nicht wie Waffen, und der nachlässige Stolz, der im Verzicht auf jegliche Drohung lag, legte ein Lächeln in seine Augen. Sie schien noch sehr jung zu sein, denn ihr Gesicht war trotz des Nomadenlebens glatt und hell, herzförmig wie ein Kindergesicht, dachte Alexander.
    Ihre dunklen Augen spiegelten jeden Gedanken, der ihr durch den Kopf ging, was Thalestris wiederum aus den Augen Alexanders las und daraufhin die Lider senkte, wie man ein Buch zuklappt, damit kein anderer hineinsehen kann. Dieser sichtlich ungeübte Versuch, königlich statt neugierig zu erscheinen, brachte Alexanders Sympathien endgültig auf ihre Seite.
    Doch als die Königin jetzt wieder den Blick auf ihn richtete und ihm ohne einleitende Worte verkündete, dass sie gekommen sei, um mit ihm ein Kind zu zeugen, durchzuckte diese Nachricht ihn wie ein Blitz, der schneller war als die Wolke aus Wünschen, die sich langsam in ihm verdichtete. Es war kein abwehrendes Zusammenzucken, sondern eine unwillkürliche Reaktion, in der sich die Spannung zwischen dem Erwarteten und Unerwarteten entlud. Erwartet hatte Alexander das Angebot |129| eines Paktes oder die Aufforderung, das Amazonengebiet zu meiden. Aber die unverblümte Bitte um ein Kind, geäußert von einer Frau, die weder zu seinem Harem, noch seinen Bediensteten gehörte und auch nicht die Frau eines Feindes war, über die er mit dem Recht des Siegers verfügen konnte, machte ihn sprachlos.
    Während er noch am Gehörten zweifelte und gleichzeitig um Fassung rang, behielt die Amazonenkönigin ihn gelassen abwartend im Auge, bis sein Anstarren ihr lästig wurde und sie sich abwandte, um ihm Zeit für eine Antwort zu geben.
    Er bemerkte, dass in ihrem Warten eine Spur von Verachtung lag, was ihm gefiel. Zu den kleinen Äußerungen ihres Missmutes gehörte der herablassende Ton in ihrer Stimme, als sie jetzt anführte, dass ein Kind, von ihnen gezeugt, nicht nur die überragenden Fähigkeiten der Eltern erben würde, sondern auch die der Urväter und Urmütter. Beim letzten Wort vergaß sie den Anflug von Gekränktheit, und ihre Stimme wurde dringend wie der Wunsch, der sie sprechen ließ. In diesem Kind läge alle Kraft eines Neubeginns. Die Irrtümer und Missverständnisse, denen Hippolyte und Penthesilea zum Opfer gefallen waren, könnten mit ihm ein versöhnliches Ende finden. Theseus’ und Hippolytes Blut, Penthesileas und Achills würden zusammenfließen in diesem neuen Leben, das alles Unglück ungeschehen machen konnte.
    Jetzt sah sie ihn mit leuchtenden Augen an. Er sei aus Zeus’ Geschlecht, fuhr sie fort, und sie eine Tochter des Ares. Göttliche Gaben würde das Kind besitzen und die besten der Menschen dazu. Geboren aus dem unsterblichen Ruhm und unendlichen Leid seiner Vorfahren würde dieses Kind leben, um die ältesten Schmerzen fruchtbar zu machen. Wenn es ein Sohn würde, könnte er mit Stolz eine Amazonenkönigin als Mutter nennen und ein würdiger Nachfolger Alexanders werden. Eine Tochter behielte sie bei sich. Sie würde die erste Königin eines für immer unbesiegbaren Volkes werden.

    |130| Schweigend hatte der König ihr zugehört, und er schwieg noch, als sie zu Ende gesprochen hatte und ihn fragend ansah. Ihre Geschichte hatte ihn angerührt, obwohl er sie kannte. Aber noch nie hatte sie jemand mit so viel Hoffnung in der Stimme erzählt, mit diesem unbedingten Willen, ein Scheitern rückgängig zu machen und in ein Gelingen zu verwandeln. Er bewunderte ihren Mut, ihre Klarheit und Weitsichtigkeit ebenso wie ihre ernste Schönheit. Längst war er entschlossen, den seltsamen Wunsch der Amazone zu erfüllen, der bereits zu seinem eigenen geworden war. Er verneigte sich vor der Königin und bat sie, sein Gast zu sein, solange sie es wünsche.
    Dreizehn Tage und Nächte verbrachten sie zusammen, dann zog Alexander weiter nach Osten. Sein nächstes Ziel war Parthiene im riesigen Reich der Parther, das vom Kaspischen Meer bis hinunter an den persischen Golf reichte. Thalestris kehrte zu ihrem Volk zurück.
    Sie war
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