Die Amazonen
unversehrt.
Noch an Ort und Stelle bekannte sich Herostratos zu seiner Tat, die ja seinen Nachruhm begründen sollte. Es ist nicht überliefert, was mit ihm geschah, aber das war ihm auch nicht wichtig. Für ihn zählte allein Berühmtheit über den Tod hinaus, die er damit nun erreicht hatte. Sein Name steht bis heute in Geschichtsbüchern und Nachschlagewerken.
Die Bewohner von Ephesos standen lange Zeit wie unter Schock. Der niedergebrannte Tempel blieb eine Ruine, keiner räumte den Schutt beiseite, nur der Wind zerstreute die Asche. Es dauerte über 20 Jahre, bis die Bürger den Entschluss fassten, an die Stelle des alten einen neuen Tempel zu bauen. Dass sich die Erstarrung langsam löste, zeigt auch eine kleine, scherzhaft gemeinte Anekdote, die in der Stadt zu kursieren begann, als die ersten Nachrichten von den außergewöhnlichen Erfolgen des neuen makedonischen Königs eintrafen. Man erzählte sich, dass Artemis in der Nacht, als ihr Tempel brannte, nicht zu Hause gewesen sei. Sie habe Alexanders Mutter bei der Geburt geholfen und deshalb den Brand nicht verhindern können. So entstand nachträglich eine Begründung für das Unfassbare. Wenn auch keiner so recht an die Geschichte glaubte, gab sie zumindest dem Geschehen einen Sinn und relativierte den blinden |122| Zufall. So ganz ohne Bedeutung konnte es nicht sein, dass genau in der Nacht, in der dieser neue Herrscher geboren wurde, der Angriff auf den Artemis-Kult in Ephesos so verheerend ausgegangen war.
Gerade als die Epheser dabei waren, den Tempel wieder aufzubauen, kam der 20-jährige Alexander auf seinem Feldzug gegen die Perser in die Stadt. Er sah das zerstörte Heiligtum und, tief erschüttert über so viel Vandalismus, erklärte er sich bereit, alle Kosten für den Bau eines neuen Tempels zu übernehmen. Als einzige Bedingung erbat er sich eine Inschrift, die ihn als Stifter nannte. Die Bewohner von Ephesos lehnten ab. Ob ihre Begründung ein diplomatischer Akt war, der den unberechenbaren Eroberer ruhig stellen sollte, oder ob sie wirklich das Empfinden der Bevölkerung wiedergab, ist schwer zu beurteilen. Jedenfalls verweigerte man ihm die Inschrift mit dem Einwand, es gehöre sich nicht für einen Gott, eine andere Gottheit zu beschenken. Damit verhinderten sie, dass dem Amazonen-Heiligtum der Stempel eines fremden Königs aufgedrückt wurde, und schmeichelten gleichzeitig Alexander ungemein, der selbst unbedingt an seine göttliche Abstammung glaubte und glücklich war, wenn auch andere das in der Öffentlichkeit kundtaten.
Seine einzigartige Stellung zwischen Mythos und Geschichte verlieh dem jungen Eroberer eine unbegreifliche Autorität. Aus dem Mythos bezog er die Rechtfertigung, zum Weltherrscher geboren zu sein, und aus der Geschichte hatte er gelernt, dass das Streben nach Weltherrschaft nur dann Aussicht auf Erfolg haben konnte, wenn der Feldherr über moderne Führungsqualitäten verfügte. Und Alexander besaß sie in hohem Maße. Er war der charismatische „primus inter pares“, der seine Soldaten wie Kameraden behandelte und gleichzeitig wie ein Gott aussichtslose Situationen umzukehren verstand. Er hatte die Rhetorik, seine Leute zu begeistern, und die Fähigkeit, Worte in Taten umzusetzen. Die Aufgaben, die er sich und den seinen stellte, waren oft genug an Unlösbarkeit mit denen des Herakles zu vergleichen, |123| aber Alexander bewältigte sie. Immer stellte er sich als Erster der größten Gefahr, der hoffnungslosesten Situation, kapitulierte weder vor überzähligen Feinden noch vor den Unbilden der Natur, die sein Heer im Wechsel von Eis und Kälte, glühender Hitze und schier unpassierbarem Gelände aufrieb. Er teilte Ruhm und Reichtum genauso wie Leid und Entbehrung. Immer eine Idee voraus, zog er seine Leute mit sich – zur nächsten Eroberung, in die neue Schlacht, über die nächste Grenze.
Ein Kind von Alexander
Alexander war unterwegs nach Hyrkanien, östlich der Grenze zum Amazonenreich. Berichte von seinen Taten eilten ihm voraus und bereiteten die Menschen auf die Ankunft eines Helden vor, wie ihn die Welt seit Herakles und Achill nicht mehr gesehen hatte. Dieser Mann schien ein Liebling der Götter zu sein, die ihm seinen Weg ebneten. Wie sonst wäre es zu erklären, dass an einer unpassierbaren Stelle an Lykiens Küste das Meer vor ihm zurückgewichen war, damit er mit seinem Heer weiterziehen konnte? Und weil die Götter nur den unterstützten, der es verdiente, hörten die Leute besonders gern
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