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Die Amazonen

Titel: Die Amazonen
Autoren: Hedwig Appelt
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Selbstbewusst, aufrecht und mit verwegenen Gesten exerzierten sie, trugen schwere Gewichte mit Leichtigkeit und gingen virtuos mit Säbel und Streitkeule um. Sie waren in jeder Disziplin den männlichen Soldaten überlegen, brauchten zum Nachladen ihrer primitiven Gewehre nur 30 Sekunden, die Männer fast doppelt so lange, und sie hatten eine wesentlich höhere Trefferquote. Zudem konnten sie sich katzengleich anschleichen und wurden darauf getrimmt, ohne besondere Schutzkleidung jedes Hindernis zu überwinden. Um das zu üben, robbten sie halb nackt durch Dornenhecken und kletterten über Gerüste, die extra mit einer Art Stacheldraht präpariert waren.
    Neben der körperlichen Ausbildung erhielten die Amazonen auch ein mentales Motivationstraining, das ihre Abrichtung als bedingungslos loyale Kampfmaschinen zum Ziel hatte. Die Betreuer müssen erstklassig gewesen sein, denn die Truppe brannte auf jedes Gefecht, ihr Mut war legendär und ebenso ihre Bereitschaft, jederzeit für den König zu sterben.
    Das Heer bestand aus mehreren Einheiten mit unterschiedlichen Aufgaben. Speziell für den Nahkampf ausgebildet waren die so genannten „Rasiermesserkriegerinnen“, die schon durch ihre besonders große, kräftige Erscheinung Furcht einflößend auf den Feind wirken sollten. Mit einem 45 cm langen Rasiermesser in der Hand versetzten sie ihre Feinde in Todesangst. Die „Elefantenjägerinnen“ arbeiteten als eingespieltes Überfallteam, dessen Stärke der Angriff im Kollektiv war. Als wäre jede von ihnen Teil eines Gesamtkörpers, kannten sie den exakten Moment und die Dauer jeder Bewegung der anderen. Ihre Angriffe galten als tollkühn, und es hieß, dass 20 dieser Amazonen 6 wilde Elefanten mit einem Pfeilhagel töteten.
    Schließlich gab es noch die „Panther“, schnelle, schlanke Bogenschützinnen und zugleich lautlose Späherinnen und Aufklärerinnen, die in ihrer knappen Uniform auch eine Art „Paradekorps“ darstellten.
    |154| Weibliche Offiziere und eine Generalin führten den Oberbefehl über dieses hoch spezialisierte Heer, das noch in den Jahren 1890 bis 1894 für die Unabhängigkeit gegen die Franzosen kämpfte, aber sich den modernen Waffen schließlich geschlagen geben musste. 1894 wurde Dahomey offiziell zur französischen Kolonie erklärt, 1975 verschwand mit dem neuen Namen „Volksrepublik Benin“ der letzte Anklang an das skandalumwitterte Land an der Sklavenküste.

    Vorher aber kamen Sklavenhändler anderer Art. In Europa und speziell im deutschen Kaiserreich waren „die Wilden“ zu einem Publikumsmagneten auf den so genannten „Völkerausstellungen“ geworden. Allein in Berlin kamen an Sonn- und Feiertagen über 40 000 Menschen in die Vorstellungen, deren Initiator der Hamburger Tierhändler Carl Hagenbeck war.
    Sein Präsentationskonzept war eigentlich aus der Not geboren. Da die Gewinnsparten im Tierhandel nachgelassen hatten, kam Hagenbeck auf die Idee, zusammen mit den Tieren exotische Menschen einzukaufen und vor den Attrappen einer „Heimat“ ganz normalen Alltag spielen zu lassen.
    Schon mit seinem ersten Versuch erzielte Hagenbeck Besucherrekorde. Sechs Lappländer inszenierten im Winter des Jahres 1874/75 mit ihren Rentieren nordischen Alltag in Deutschland. Die Lieblingsszenen des Publikums waren das Melken der Rentiere und die kleine Lappländerfrau, die ihrem Säugling vor aller Augen ungeniert die Brust reichte.
    Um das Jahr 1880 zogen ganze Völkerkarawanen durch die europäischen Großstädte und führten ihr Leben auf Jahrmärkten, Messen, in Theatern und zoologischen Gärten vor: Nubier, Feuerländer, Sioux, Inder, Singhalesen, Hottentotten, Somalis, Massai...
    Wie kam es zu einem solchen Angebot und der überwältigenden Nachfrage?
    Hierzulande wurden diese Völkerschauen als Propagandaveranstaltungen für die aktuelle Außenpolitik subventioniert. Nach |155| Jahrhunderten im Wartestand war endlich auch Deutschland Kolonialmacht geworden und demonstrierte mit den Völkerschauen die Macht und Größe des Reiches nach innen. Außenpolitisch zeigte sich Deutschland als „guter Gastgeber“, der „seine Wilden“ zuvorkommend behandelte. Der Wirtschaft brachten die Völkerschauen ein Umsatzplus an Kolonialwaren, weshalb 600 Firmen des Überseehandels teilnahmen. Für den überwiegenden Teil des Publikums aber war ein anderer Aspekt viel attraktiver: Der normalerweise verbotene Blick auf nackte, vorwiegend weibliche, Körper wurde plötzlich salonfähig, handelte es
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