Die Ameisen
weißen Wurzeln zurückgehalten wird, bildet Klumpen. Zuweilen fallen einige Bröckchen hinunter. »Innerer Hagel« nennt man das. Das einzige bekannte Mittel, sich davor zu schützen, ist doppelte Wachsamkeit und beim geringsten Duft von Geröll zur Seite springen.
Den Bauch auf den Boden gepreßt, die Antennen nach hinten geknickt, die Beine weit abgespreizt, rücken die drei Ameisen vor. Nr. 103 683 scheint genau zu wissen, wohin sie sie führt.
Der Boden wird wieder feucht. Ein ekelhafter Geruch schwebt dort. Es riecht nach Leben. Nach Tier.
Nr. 327 bleibt stehen. Er ist nicht ganz sicher, aber ihm war, als hätte sich eine Wand unmerklich bewegt. Er geht auf die verdächtige Zone zu; die Wand bebt erneut. Er weicht zurück.
Eine Ausbeulung zeichnet sich ab, doch zu klein, als daß es ein Maulwurf sein könnte. Die Ausbeulung verwandelt sich in eine Spirale, eine Art Höcker wächst in ihrer Mitte und spritzt hervor, um sich auf ihn zu stürzen.
Das Männchen stößt einen Duftschrei aus.
Ein Regenwurm! Nr. 327 zerschneidet ihn mit einem Mandibelbiß. Aber jetzt tropft dieses sich ringelnde Getier ringsum von den Wänden. Bald sind es so viele, daß man glauben könnte, in den Eingeweiden eines Vogels zu sein.
Einer der Würmer verfällt darauf, sich um den Thorax des Weibchens zu schlingen. Jenes schnappt mit den Mandibeln zu und schneidet ihn in mehrere Stücke, die sich rechts und links davonschlängeln. Andere Würmer kommen hinzu und winden sich um ihre Beine und Köpfe. Daß die Antenneni n Mitleidenschaft gezogen werden, ist besonders unangenehm.
Sie legen alle drei gemeinsam an und beschießen die harmlosen Askariden mit Säure. Am Ende ist der Boden nur mehr ein Relief aus ockerfarbenem Fleisch, das immer noch hüpft, als wollte es sie herausfordern.
Sie rennen davon.
Als sie sich wieder fassen, zeigt ihnen Nr. 103 683 eine weitere Reihe von Gängen, die sie durchqueren müssen. Je weiter sie kommen, um so schlechter riecht es, aber sie gewöhnen sich daran. Man gewöhnt sich an alles. Die Soldatin deutet auf eine Wand und erklärt, daß sie dort graben müssen.
Das sind die alten sanitären Einrichtungen aus Kompost, der Versammlungsort ist unmittelbar daneben. Wir treffen uns gerne hier, da ist man ungestört.
Sie spielen Wühlmaus. Auf der anderen Seite gelangen sie in einen großen Saal, in dem es nach Exkrementen riecht.
Die dreißig Soldatinnen, die sich ihrer Sache angeschlossen haben, warten tatsächlich auf sie. Aber um mit ihnen zu reden, müßte man die Grundbegriffe des Puzzles kennen, denn sie sind in ihre Einzelteile zerlegt. Mancher Kopf weit vom Thorax entfernt …
Fassungslos inspizieren sie den makabren Saal. Wer mag sie hier getötet haben, im Keller von Bel-o-kan?
Bestimmt etwas, was von unten kommt, stößt das 327.
Männchen hervor.
Das glaube ich kaum, erwidert das 56. Weibchen und schlägt trotz allem vor, den Boden aufzugraben.
Sie schlägt die Mandibeln hinein. Schmerz. Darunter ist nackter Fels.
Ein riesiger Granitfelsen, erklärt Nr. 103 683 kurz darauf, das ist der Grund, der harte Boden der Stadt. Und der ist dick.
Sehr dick. Und breit. Sehr breit. Noch nie ist jemand bis zu seinem Rand vorgedrungen.
Wer weiß, vielleicht ist das sogar der Boden der Welt. Ein merkwürdiger Geruch breitet sich aus. Etwas, was in den Raum getreten ist. Etwas, was ihnen sofort sympathisch ist. Nein, keine Ameise aus dem Volk, sondern ein Lomechusekäfer.
Noch als Larve hat Nr. 56 Belo-kiu-kiuni über dieses Insekt reden hören:
Kein Gefühl kommt dem gleich, was man bei der Einnahme des Nektars der Lomechuse empfindet, wenn man erst einmal davon gekostet hat. Sie ist die Frucht aller körperlichen Begierde, ihr Sekret zerstört den unbeugsamsten Willen.
In der Tat unterdrückt die Einnahme dieser Substanz den Schmerz, die Angst, die Intelligenz. Die Ameisen, die das Glück haben, ihre Giftlieferantin zu überleben, verlassen auf der Suche nach neuen Dosen unaufhaltsam die Stadt. Sie essen nicht mehr, ruhen sich nicht mehr aus und wandern bis zur Erschöpfung. Schließlich pressen sie sich an einen Grashalm, wenn sie keine Lomechuse finden, und siechen dahin, gepeinigt von den tausend Martern des Entzugs.
Die junge Nr. 56 hat eines Tages gefragt, warum man eine solche Geißel, der Termiten und Bienen schonungslos den Garaus machen, in der Stadt dulde. Belo-kiu-kiuni hat geantwortet, daß es zwei Wege gebe, ein Problem anzugehen: entweder man hält es sich vom Leib,
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