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Die Amerikanerin

Die Amerikanerin

Titel: Die Amerikanerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Deutsche, auch wenn die meisten das vergessen haben.«
    »Anna!« Stirnrunzelnd schaute Johanna ihre Tochter an.
    Ruckartig schob Anna ihren Stuhl nach hinten. »Was heißt hier Anna? Ich finde es affig, welchen Zinnober ihr alle um Wanda macht, nur weil sie aus Amerika kommt. Als ob das das Paradies auf Erden sei.«
    »Wir freuen uns, dass Wanda unser Gast ist«, antwortete ihr Vater leise. »Und das hat nichts damit zu tun, dass sie Amerikanerin ist, sondern damit, dass wir sie in unser Herz geschlossen haben.«
    »Das scheint ja hier allen so zu gehen!«, fauchte Anna und rannte aus dem Zimmer.
    Peinlich berührt starrte Wanda Löcher in die Tischplatte. Natürlich war das der Grund dafür, dass Anna so böse war. Den ganzen Abend hatte ihre Cousine sie mit Adleraugen beobachtet, keine Geste, kein Blick zwischen Wanda und Richard war ihr entgangen. Mehr als einmal hatte Anna versucht, Richard in ein Gespräch zu verwickeln, doch er hatte sie jedes Mal mit einer knappen Antwort abgespeist, um sich gleich darauf wieder Wanda zuzuwenden.
    Unter anderen Umständen hätte sie Wanda vielleicht leidgetan. Stattdessen hatte sie Angst, die anderen würden die Jubelchöre in ihrem Herzen hören.
    »Ich glaube, ich brauche ein wenig frische Luft«, murmelte sie. Dann rannte auch sie aus dem Raum.

14

    Draußen war es bitterkalt. Obwohl es zu schneien aufgehört hatte, war der Himmel tief mit hellgrauen Wolken verhangen. Kein sternklares Firmament, kein strahlender Mond in dieser Nacht.
    Wanda blieb unter dem Dachvorsprung, mit den Füßen auf trockenem Boden. Im Licht des Küchenfensters glitzerte der Neuschnee wie eine über und über mit Strass-Steinchen bestickte Abendrobe. Was Mutter heute Abend wohl trägt?, ging es Wanda unvermittelt durch den Sinn. Einen barmherzigen Moment lang wurde sie von Erinnerungen an die rauschenden Silvesterpartys, die sie mit ihren Eltern besucht hatte, abgelenkt. Vielleicht wäre es das Beste gewesen, wenn sie New York nie verlassen hätte … Aber dann hättest du auch nie Richard getroffen , flüsterte im selben Moment eine innere Stimme.
    Was nun? Ihr abgrundtiefer Seufzer erfüllte die nächtliche Stille.
    Der Gedanke, sich wieder an den Tisch zu setzen und so zu tun, als wäre nichts gewesen, erschien ihr unerträglich. Andererseits – was war eigentlich geschehen? Womöglich hatte sie sich nur eingebildet, Richard würde sich für sie interessieren! Sein Benehmen konnte man auch als Aufmerksamkeit einem Gast gegenüber deuten und Annas Gehabe als kindische, grundlose Eifersucht.
    Das Quietschen der Haustür riss sie aus ihren Überlegungen. Richard trat heraus.
    Sie hatte gewusst, dass er es sein würde.
    Er kam auf sie zu, ihren Mantel über dem Arm. Behutsam half er ihr hinein. Schließlich ging er in die Hocke und knöpfte den Mantel zu. Dann zog er Wanda an sich, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt.
    Zähneklappernd und mit hängenden Armen stand Wanda da, während seine Wärme auf sie überging. Aus Sorge, zuungestüm und leidenschaftlich zu reagieren, erwiderte sie seine Umarmung nicht.
    »Gräm dich nicht wegen Anna. Es hat so kommen müssen. Besser, sie weiß von Anfang an Bescheid.«
    »Was hat so kommen müssen?« Wandas Gesichtsmuskeln schmerzten vor Kälte, sie quälte sich jedes Wort heraus. Mit klopfendem Herzen wand sie sich aus seiner Umarmung. Sie wollte ihm in die Augen schauen.
    »Ich habe mich in dich verliebt. Wie es dir ergeht, musst du selbst wissen.« Er lächelte.
    Wanda schwieg. Hätte sie sagen sollen, dass nichts mehr auf der Welt wichtig war – außer ihm? Dass sie noch nie solche Gefühle für einen anderen Menschen empfunden hatte? Dass sie noch nie einen Mann derart begehrt hatte? Sie misstraute seinen Worten nicht, aber sie war nicht bereit, auf dieselbe Weise zu antworten. Sie hatte Angst vor diesen großen, neuen Gefühlen, die nichts Kindliches mehr an sich hatten.
    »Ich weiß nicht, wie es mir ergeht«, erwiderte sie schließlich.
    »Alles geht im neuen Jahr.« Bevor sie wusste, wie ihr geschah, küsste er sie auf die Stirn, auf beide Wangen, nicht aber auf den Mund.
    Es war jedoch, als hätten seine Küsse einen Riegel in ihr aufgeschoben. Plötzlich war sie ganz ruhig, ihr Zittern hörte auf. Richard hatte recht, alles war möglich.
    Trotzdem sagte sie: »Aber ich bin Amerikanerin. Ende April reise ich wieder ab. Ich bin nur nach Thüringen gekommen, weil ich mir eingebildet habe, meiner Familie während Maries Abwesenheit

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