Die Amerikanerin
nach New York auch Wein verkaufen! Und nicht sauren Fusel, den ihm die Gastronome nur abnahmen, weil sie mit jeder Schiffsladung Wein auch billige Arbeitskräfte bekamen. Früher einmal, da hatte De-Lucca-Wein einen Namen gehabt, sein Aroma hatte den Auswanderern zumindest für ein paar Stunden das Heimweh nach der italienischen Sonne genommen. Das konnte wieder so werden! Wenn er sich mit seinem Vater einig wurde, dann würde ihr Weingut wieder zu einem Markenzeichen werden.
Neben ihm warf sich Marie auf die andere Seite und zog die Beine an ihren geschwollenen Leib. Der Leib, in dem sein Kind heranwuchs. Ganz sanft, um sie nicht zu wecken, strichFranco über die dünne Leinendecke, unter der ein kleiner Mensch darauf wartete, das Licht der Erde zu erblicken.
Noch war genug Zeit. Bis zur Geburt konnte alles Vergangenheit sein. Dann mochte die Zukunft beginnen.
Der Gedanke gefiel ihm. Er wollte Vater werden, ohne Angst haben zu müssen, dass sich im Bauch eines Schiffes ein Weinfass lösen und durch sein Gewicht einen blinden Passagier erdrücken könnte. Er wollte keine Angst mehr haben müssen, dass versehentlich die Lüftungsluken zugestellt wurden und … nein, Schluss damit!
Franco drückte beide Hände an seine Schläfen, als wolle er seine Gedanken vertreiben.
Vor zwei Tagen hatte wieder ein Schiff Genua verlassen. In einer guten Woche würde die »Firenze« in New York ankommen. Wenn es nach ihm ging, waren die zwanzig blinden Passagiere die letzten, die er aus dem Land geschleust hatte.
Wenn es nur schon so weit wäre!
13
Im Gegensatz zu der Genueser Festtafel war das Silvestermahl im Haus der Familie Steinmann-Maienbaum alltäglich: Johanna hatte einen Topf Kartoffelsuppe gekocht und zur Feier des Tages lediglich für jeden eine ganze Wurst hineingegeben. Dazu gab es Brot, wie immer. Doch das Essen war an diesem Abend Nebensache. Kaum waren die Teller leer, schoben die Männer Tisch und Stühle zur Seite. Während der Nachbar Klaus Obermann-Brauner – der, wie Wanda erfuhr, jedes Jahr mit seiner Frau Hermine und anderen Gästen bei den Maienbaums Silvester feierte – seine Quetschkommode auf den Schoß hievte, stellten sich alle in einem Kreis auf. Er fing an zu spielen, und das Tanzvergnügen begann. Anfänglich kam sich Wanda bei den fremdartigen Bewegungen komischvor – das ausgelassene Gestampfe hatte nichts mit den Tänzen zu tun, die sie von den New Yorker Bällen kannte –, aber bald war sie von der Fröhlichkeit so angesteckt, dass sie am lautesten juchzte, am höchsten hüpfte und ihren Rock am weitesten schwang. Sie hätte an diesem Abend die ganze Welt umarmen können! Stattdessen drehte sie sich, wie es die Tanzregeln verlangten, zu ihrem Hintermann um und reichte ihm beide Hände. Ihr Lachen erstarb.
Richard Stämme.
Ein Schauer fuhr ihren Rücken hinab. Sie hatte Mühe, bei der folgenden Drehung nicht zu stolpern.
Als wolle sie sich selbst beweisen, dass ein Fremder nie und nimmer eine solche Wirkung auf sie haben konnte, zwang sie sich, ihm direkt in die Augen zu schauen. Hunderte von Schmetterlingen flatterten in ihrem Bauch. Als sie sich nach der nächsten Drehung ihrem Onkel Peter gegenüberfand, war sie beinahe froh.
Du meine Güte, was war denn das?
Als sie am frühen Abend erfahren hatte, dass er ebenfalls zu Besuch kommen würde, war ihr einen Moment lang ganz schwindlig geworden. Endlich würde sie ihn wiedersehen!
Seit Johannes ihr den jungen Glasbläser vorgestellt hatte, hatte sie über einen Vorwand nachgegrübelt, ihn wiederzutreffen, doch ihr war nichts eingefallen. Zu jedem Botendienst hatte sie sich Johanna angetragen, in der Hoffnung, Richard irgendwo im Dorf über den Weg zu laufen, doch all ihre Gänge zum Krämerladen, zur Poststation oder zum Schachtelmacher waren vergeblich gewesen. Schließlich hatte sie sich dabei ertappt, Umwege zu gehen, um in die Nähe seiner Hütte zu kommen. Immer wieder waren dabei ihre Gedanken zu dem Nachmittag zurückgewandert, als Johannes und sie Richard besucht hatten. Wie seine tiefblauen Augen in dem dunklen Gesicht glitzerten, als er von Murano und dem venezianischen Glas sprach! Seine Stimme hatte sichangehört, als ob er von einer Geliebten erzählen würde – rau und unglaublich zärtlich, leidenschaftlich und bestimmt. Zu ihrer eigenen Verwirrung hatte Wanda sich in jenem Moment nichts sehnlicher gewünscht, als selbst Gegenstand von Richards Leidenschaft zu sein. Dass er so von ihr sprechen würde … Was
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