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Die Amerikanerin

Die Amerikanerin

Titel: Die Amerikanerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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anderes, nicht wahr?«, fügte Wanda in bemüht leichtem Ton hinzu.
    Sein Blick verlor etwas an Intensität und wurde weicher, nach innen gekehrter.
    »Ja, der letzte Tag des Jahres hat so etwas … Endliches. Die Minuten fallen ins Stundenfass, und die letzten Stunden des Jahres neigen sich dem Ende zu … Und gleichzeitig hat alles, was war, plötzlich weniger Bedeutung, weil ja ein Neuanfang bevorsteht. Weil alles möglich sein kann im neuen Jahr.«
    Wanda nickte. Richard hatte genau das ausgesprochen, wassie fühlte. Ihre Verwirrung wuchs. Sein Bein drückte fester gegen ihres, und sie wusste nicht, ob sie ihrem Seelenheil zuliebe ein wenig von ihm abrücken sollte. Der Schwindel in ihrem Kopf wurde immer heftiger.
    Richard grinste vielsagend, dann wandte er seinen Blick ab. »Wir sind vielleicht nicht so fein wie die Leute in Amerika, aber feiern können wir allemal, nicht wahr, Peter?«
    Der Bann war gebrochen. Wanda atmete tief durch.
    Lachend schenkte Peter allen aus dem Punschtopf nach, der auf der Herdplatte vor sich hin köchelte und auf wundersame Weise nie leer zu werden schien. Die anderen, die dem Gespräch zwischen Wanda und Richard gefolgt waren, begannen wieder eigene Unterhaltungen, nur Anna schaute noch griesgrämiger drein als zuvor.
    Wanda trank ihr Glas in einem Zug halb leer.

    Kurz darauf fingen sie an, Karten zu spielen, und die Stimmung wurde noch ausgelassener.
    Wann immer die Nachbarin Hermine ein gutes Blatt hatte, begann ihr Mann Klaus missgünstig zu grummeln, umgekehrt war es allerdings genauso. Je mehr sich das alte Ehepaar kabbelte, desto lustiger fanden es die anderen. Irgendwann begannen Johannes und Richard die beiden nachzuahmen, was erst recht zu wahren Lachsalven führte. Johanna kicherte wie ein junges Mädchen, und selbst Magnus war an diesem Abend nicht so traurig wie sonst. Anna schien als Einzige nichts an dieser Parodie zu finden. Wenn sie überhaupt einmal lachte, klang es gequält.
    Mit glühenden Wangen schaute Wanda in die Runde, während sie ihre rechte Hand über ihr Kartenblatt gelegt hatte. Das sah ja gar nicht so schlecht aus …
    »Wer ist denn nun dran, die nächste Karte zu ziehen?« Warum musste ihre Stimme immer so piepsig klingen, wenn sie aufgeregt war!
    Johannes stöhnte. »Oje, Cousinchen, ich glaube, du hast das Spiel immer noch nicht verstanden. Natürlich bin ich an der Reihe.«
    »Pass auf, sie will dich mit ihrer Fragerei nur ablenken! Das ist amerikanische Raffinesse!«, rief Richard und zwinkerte Wanda zu.
    Verlegen stimmte sie in das Gelächter der anderen ein. Von wegen Ablenkungsmanöver! Wie sollte sie ihre Gedanken beieinanderhalten, wenn sie neben sich Richards Körperwärme spürte? Wie sollte sie sich eine Reihenfolge merken, wenn sein Arm immer wieder ihren berührte? Aus dem Augenwinkel linste sie zu ihm hinüber. Prompt trafen sich ihre Blicke.
    Wanda spürte, wie ihr die Röte in die Wangen schoss. Hastig nahm sie einen Schluck Punsch, von dem ihr nur noch wärmer wurde.
    Johanna warf ihrer Nichte einen Blick zu.
    »Schon elf Uhr, und wir haben noch kein Blei gegossen! Johannes, Anna – will denn keiner wissen, was das neue Jahr bringen wird? Das war doch bisher immer euer liebstes Silvestervergnügen. Und ich kümmere mich in der Zwischenzeit um unsere Neujahrskrapfen!«
    Etwas unsicher stand Johanna auf und ging zum Küchenschrank. Hermine, die sich nützlich machen wollte, folgte ihr. Während Johannes in der Werkstatt alles für das Bleigießen vorbereitete, blieb Anna auf ihrem Stuhl sitzen.
    »Warum gehst du nicht zu Johannes hinüber? Sonst musst du doch auch immer deine Nase ganz vorn haben«, sagte sie zu Wanda.
    Wanda hatte das Gefühl, einen Schlag in den Magen bekommen zu haben. Betroffen schaute sie ihre Cousine an.
    »Wahrscheinlich sehen wir sowieso nichts als unförmige Klumpen, in die wir das Glück der Welt hineinschwätzen.« Richard lachte Johanna an, die mit einem Teller Fettgebackenem an den Tisch zurückkam. »Aber Bleigießen gehörteinfach dazu, nicht wahr?« Dann wandte er sich Wanda zu. »Gibt es diesen Brauch in Amerika auch?«
    Sein warmer Atem pustete die Worte wie süße Wolken in ihr Gesicht. Annas Bemerkung war vergessen.
    »Ich … wie soll ich sagen … es …« Sie lachte atemlos. Was hatte Onkel Peter nur in den Punsch gemischt, dass ihr Kopf auf einmal wie Watte war!
    »Was fragst du so blöd!«, zischte Anna. »Natürlich kennen die unsere Bräuche, das waren ja früher auch einmal

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