Die Amerikanerin
für ein törichter Gedanke!
Und nun tanzte sie mit ihm durch Johannas Stube …
Gegen zehn Uhr packte der Nachbar sein Instrument ein und verlangte nach einem Bier. Auch die anderen waren dankbar für eine Pause, und so wurden Tisch und Stühle wieder in die Mitte des Raumes gerückt. Verschwitzt, aber zufrieden saßen alle am Tisch, als Johanna Butterbrot und Salzheringe servierte.
»Jetzt kommt das Zweitbeste!«, rief Johannes, als die Platte mit den Heringen leer gegessen war. Gierig begann er, die säuerliche Lake, in der die Fische gelegen hatten, mit seinem Brot aufzutunken. Als Peter Wanda aufforderte, dasselbe zu tun, wehrte sie mit dem Hinweis, schon satt zu sein, ab.
Wieder einmal musste sie ihre Betroffenheit darüber verbergen, wie ärmlich es im Haushalt ihrer Tante zuging. Das Wissen, dass ihre Verwandten im Dorf als ziemlich wohlhabend galten, machte es nicht einfacher. Wahrscheinlich gab es mehr als eine Familie in der Nachbarschaft, die in dieser Nacht gar nichts zu essen hatte und im ungeheizten Zimmer sitzen musste.
Die Mitglieder der Familie Steinmann-Maienbaum hatten sich am letzten Tag des Jahres sogar einen zusätzlichen Luxus geleistet: ein warmes Bad. Seit dem frühen Morgen hatten sich die Männer dabei abgewechselt, den alten Ofen im Waschhaus zu heizen. Als Gast durfte Wanda vor allen anderen baden. Obwohl sie sonst stets darauf pochte, dass ihretwegen ja keine Umstände gemacht wurden, nahm sie dieses
Angebot dankend an – die Vorstellung, nach Anna undJohanna in ein benutztes Badewasser zu steigen, war ihr doch ziemlich unangenehm. Als sie dann allerdings im heißen, nach Lavendel duftenden Badewasser gelegen hatte, während die anderen noch in der Werkstatt beschäftigt waren, hatte sie ein schlechtes Gewissen bekommen.
Wenn ihre Mutter sie heute Abend sehen könnte – ungeschminkt, in Alltagskleidung, und zum ersten Mal seit ihrer Ankunft von Kopf bis Fuß gewaschen … Der Gedanke ließ Wanda grinsen.
Ihr Cousin warf ihr einen wohlwollenden Blick zu. Nachdem Wanda auf ihrem Rundgang durch Lauscha bei seinen Freunden ein solcher »Erfolg« gewesen war, war er ihr größter Gefolgsmann geworden, was ein Außenstehender aufgrund seiner ständigen Neckereien allerdings kaum vermutet hätte.
Er gab seiner Schwester einen Schubs in die Rippen. »Schwesterchen, möchtest du nicht noch ein wenig Brot ins Essigwasser tunken? Guck Wanda an! Schließlich heißt es: Sauer macht lustig!«
Anna, die von der alten Hermine durch ein Gespräch über diverse Zipperlein in Beschlag genommen wurde, warf ihm einen grimmigen Blick zu.
»Ich frage mich, warum man erst einen Anlass wie Silvester braucht, um aus der Stube einen Tanzboden zu machen«, sagte Richard zwischen zwei Bissen. »Ein wenig Musik und Sockenhüpf – und schon sieht die Welt ganz anders aus, nicht wahr?«
Die anderen stimmten ihm zu, dass der Alltag kaum Zeit für Fröhlichkeit ließ. Nur Anna sagte: »Wer sollte denn dann die Arbeit tun, wenn jeden Abend Tanz wäre?«
Richard runzelte kurz die Stirn, doch statt etwas zu entgegnen, reichte er Wanda den Brotkorb und fragte:
»Und? Wie gefällt dir das Silvesterfest bei uns in Thüringen?«
Für einen Wimpernschlag berührten sich ihre Finger, und genauso lange hielt sein Blick den ihren fest. Hastig schlug sie die Lider nieder.
Meine Hand zittert ja, stellte sie fest, als sie den Korb in der Tischmitte abstellte.
»Ausgesprochen gut. Marie hat mir ja schon viel von euren Festen erzählt. Von Karneval zum Beispiel. Aber wenn man’s dann selbst erlebt … Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich mich das letzte Mal so gut amüsiert habe«, antwortete sie ehrlich. Der ausgelassene Tanz, Richards Arme um ihren Körper, sein freundliches Grinsen, dazu die warme Stube, während es draußen schneite, ihre Verwandten, Richards dunkle Augen, so intensiv, so … Unvermittelt hatte sie ihn wieder angesehen und zwang sich nun, den Blickkontakt mit ihm zu unterbrechen.
»Weihnachten war ebenfalls ein sehr schönes Fest, mit all dem Schnee und dem schönen Christbaum.« Sie wies in die Zimmerecke, wo der Tannenbaum stand, der traditionsgemäß mit Maries ersten Kugeln geschmückt war. »Mein erstes Weihnachten in Deutschland. Und es war noch viel stimmungsvoller, als die Leute in den Trachtenvereinen in New York es geschildert hatten!«
Richard schaute sie unverwandt an. Sein Unterschenkel berührte dabei ihr Bein.
»Aber solch ein Jahreswechsel ist doch noch etwas
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