Die Amerikanerin
ihr aus konnte Mutter all ihre Sachen an die Armen verschenken – was sollte sie hier mit ihren Ballkleidern und den mit Perlen bestickten Sandaletten? »Mutter hat sich damals auch nur mit einem Koffer in der Hand davongemacht, ohne euch Bescheid zu sagen. Und Marie hat ebenfalls alles zurückgelassen, als sie beschloss, mit Franco in Genua zu leben. Nur mir muss immer jeder dreinreden!« Trotzig schob sie ihre Unterlippe nach vorn. Und was, wenn sie einfach hierblieb?
»Ach Wanda … Warum willst du denn unbedingt die Fehler von uns Alten wiederholen?«, seufzte Johanna und sah auf einmal müde aus. »Wäre es nicht sinnvoll, wenigstens zu versuchen , es besser zu machen?«
»Und warum hast du deiner Mutter nicht gesagt, dass wir heiraten werden?«, fragte Richard mit gerunzelter Stirn. »Das hätte sie doch sicher umgestimmt.«
»Heiraten?«, rief Wanda schrill. »Davon war doch noch gar nicht die Rede …«
»Was guckst du denn wie ein erschrockenes Reh? Dass wir zusammenbleiben, war doch vom ersten Tag an klar. Also istes genauso klar, dass wir eines Tages heiraten. Eigentlich wollte ich noch damit warten, bis … nun ja, bis ich dir etwas mehr bieten kann.« Er machte eine unbestimmte Handbewegung in die Runde. »Aber wenn’s sein muss, geh ich gleich heute Abend hoch zu deinem Vater und halte um deine Hand an. Früher oder später – was soll’s?« Er zuckte mit den Schultern, als wäre schon alles beschlossene Sache. »Wie wäre es, wenn die zukünftige Frau Stämme ihrem Bräutigam einen Kuss gäbe?« Augenzwinkernd streckte er die Hand nach Wanda aus.
Frau Stämme … Die Versuchung war groß, sich in seine Arme zu kuscheln und das wohlige Gefühl, das seine Worte in ihr ausgelöst hatten, zu genießen. Stattdessen rückte Wanda von ihm ab. Anstelle von Herzklopfen und romantischen Gefühlen verspürte sie auf einmal so etwas wie Wut.
»Eigentlich habe ich mir einen Heiratsantrag ein wenig anders vorgestellt …«, sagte sie spröde.
Da redete er stundenlang über eine neue Glastechnik oder über das, was Gotthilf Täuber bei seinem letzten Besuch alles gesagt hatte, aber eine so wichtige Angelegenheit wie eine Heirat handelte er in einem Satz ab! Und auch noch ohne sie zu fragen. Wanda glaubte im Übrigen nicht, dass ihre Mutter von ihren neuen Heiratsplänen begeistert sein würde. Im Gegenteil: Wahrscheinlich würde sie alles daransetzen zu verhindern, dass gerade ihre Tochter einen Glasbläser heiratete! Genau das sagte sie Richard.
Für einen langen Moment schwiegen beide. Zögerlich fing Richard schließlich als Erster wieder an zu sprechen.
»Dass deine Eltern vielleicht etwas gegen … mich einzuwenden haben, ist mir auch klar. Es ist ja auch nicht so, dass ich mir meiner Sache ganz sicher bin. Also … ich meine …« Er fuhr sich ungestüm durch die Haare, so dass sie in alle Himmelsrichtungen abstanden. »Dass ich dich liebe, da bin ich mir natürlich sicher. Aber alles andere –« Er machte eineratlose Handbewegung. »Vielleicht rede ich so forsch daher, weil mir sonst vor lauter Grübeln noch der Kopf zerspringt. Kann so etwas wie unsere Beziehung gutgehen? Ob mitten in der Nacht oder früh am Morgen und sogar manchmal bei der Arbeit steht diese Frage plötzlich wie ein großes schwarzes Ungeheuer vor mir, und ich habe Mühe, es niederzuringen. Ein so … gebildetes Mädchen wie du! So weltgewandt. Eine aus New York für immer hier bei uns in Lauscha …«
»Aber ich …«, fiel Wanda ihm ins Wort, doch Richard unterbrach sie sofort wieder: »Jetzt, wo noch alles neu für dich ist, gefällt es dir natürlich bei uns. Aber der nächste Winter kommt bestimmt. Und danach kommt wieder ein Winter. Wie wirst du damit zurechtkommen, dass Lauscha manchmal durch den vielen Schnee regelrecht von der Welt abgeschnitten ist? Wirst du vor lauter Langeweile beginnen, mich zu hassen? Und wie wird es dir gefallen, tagein, tagaus in einer Glaswerkstatt beschäftigt zu sein? Darf ich dir das überhaupt zumuten?« Er seufzte. »Manchmal ist das Ungeheuer stärker als ich, und dann glaube ich, wir beide dürfen nie zusammenkommen. Aber jetzt habe ich dir doch einen Antrag gemacht, und ich bin froh darüber! Wanda, Liebste – wir können es schaffen! Ich weiß es, und ich werde alles tun, um dich glücklich zu machen!«
Der trotzige Unterton in seiner Stimme stand im krassen Gegensatz zu der Unsicherheit in seinem Blick. So verletzlich hatte Wanda ihn noch nie gesehen. Ihr Herz
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