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Die Amerikanerin

Die Amerikanerin

Titel: Die Amerikanerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Tautropfen auf einer weißen Lilienblüte gleichzeitig den ersten Strahl Morgensonne einfangen!« Mit glänzenden Augen schaute sie von Richard zu ihrem Vater.
    Sie hatte es gewusst!
    Sie hatte von Anfang an gewusst, dass etwas Gutes dabei herauskommen würde, wenn die beiden sich zusammentaten!
    Richard nahm die Vase hoch und hielt sie mit zusammengekniffenen Augen gegen das schwache Licht der Ölfunzel.»Das Verhältnis Glas zu Aventurin könnte noch etwas ausgewogener sein. Bei der nächsten Vase versuche ich, die Auflage noch ein wenig tiefer anzusetzen. Das hatte ich eigentlich hier auch schon vor, aber ich hatte Angst, dass ich in die tiefen Rillen nicht vollständig hineingelange. Und dann wäre alles verdorben gewesen.«
    »Alter Nörgler!«, frotzelte Wanda.
    Doch Thomas nickte. »Die Gefahr besteht.« Er biss sich auf die Unterlippe. »Und du bist dir sicher, dass wir darauf jetzt die Säure geben sollten? Eigentlich ist die Vase doch auch so schön, oder?«
    Richard lachte. »Hat dich der Mut schon wieder verlassen? Ich bitte um ein wenig mehr Experimentierfreude! Das war doch der Sinn der Übung! Oder warum haben wir das teure Zeug sonst bestellt?«
    »Jetzt wartet doch einen Moment!« Wanda ergriff ihren Notizblock und drängte sich zwischen die beiden Männer. »Bevor ihr mit der Säure anfangt, möchte ich zuerst wissen, was ihr gerade eben gefühlt habt.« Mit gezücktem Bleistift schaute sie von einem zum andern. Ihre Notizen würden wichtig werden, wenn sie Karl-Heinz Brauninger die neue Serie beschreiben sollte. Bei der »Karnevale«-Serie war es einfach gewesen, da hatte sie aus ihren eigenen Empfindungen schöpfen können. Diesmal war es anders.
    Die beiden Männer starrten sich an. Richard kratzte sich verlegen am Hinterkopf. »Das solltest du eigentlich nur den Glasbläser fragen …«
    Thomas gab ein unwilliges Geräusch von sich. »Wenn du’s genau wissen willst: einen Druck auf der Blase. Ich muss nämlich schon die ganze Zeit pinkeln.«
    Die beiden Männer lachten. Dann ging Thomas nach draußen.
    Wanda schaute ihm nach. Sie fühlte sich, als hätte ihr jemand einen Eimer Wasser über den Kopf gegossen.
    »Dieser …« Vor lauter Erregung hatte sie auf einmal zu viel Spucke im Mund und musste erst schlucken, bevor sie weitersprechen konnte. »Dieser Unhold!«
    Nachdem Richard etwas von »darf man nicht so ernst nehmen« und »wir werden die Säure morgen auftragen« gefaselt hatte, drückte er Wanda einen hastigen Kuss auf die Lippen und war fort.
    Dumpf starrte sie auf die Glasvase, während sie darauf wartete, dass Thomas von seinem Gang hinters Haus zurückkam.
    »Du bist ja immer noch da«, begrüßte Thomas sie beim Eintreten. »Ich habe gedacht, du würdest mit Richard gehen.«
    »Und ich habe gedacht, wir beide würden zusammenarbeiten. Aber scheinbar habe ich mich getäuscht!«, antwortete sie bitter.
    Thomas stöhnte. »Was willst du denn jetzt schon wieder? Du kannst einen Mann wirklich um seinen Verstand bringen. Wie deine Mutter damals!«, fuhr er sie mit verschränkten Armen an.
    »Und du kannst nichts als jammern!«, schrie Wanda und sprang auf. Du lieber Himmel, er war ihr Vater  – wie konnte er sie nur so verletzen? Lag ihm denn nicht das Geringste an ihr? »Kein Wunder, dass meine Mutter dich damals verlassen hat! Und kein Wunder, dass du es zu nichts bringst!«, spie sie ihm entgegen. Dann trat sie so nahe an ihn heran, dass ihr Gesicht nur noch eine Handbreit von seinem entfernt war. »Was habe ich denn von dir verlangt? Nichts, als dass du deine Empfindungen mit mir teilst!« Zu ihrem Entsetzen stiegen ihr während der letzten Worte Tränen in die Augen. Sie wandte sich dem Fenster zu, bevor Thomas sie sehen konnte.
    Für einen langen Moment herrschte Schweigen. Thomas hatte wieder an seinem Bolg Platz genommen.
    »Wie ich mich fühle …, das hat noch keiner von mir wissen wollen«, sagte er schließlich. Er starrte auf die hölzerne Arbeitsplatte, die vom Feuer vieler Jahre geschwärzt war. Die Falte zwischen seinen tiefliegenden Augen war noch ausgeprägter als sonst. »Seit ich denken kann, sitz ich hier in dieser Werkstatt, an diesem Bolg. Jeden Tag. Früher, als wir noch zu dritt waren und Vater die Aufträge herangeschafft hat, da hieß es von früh bis spät ackern – ob es tausend Schalen waren, die man zu blasen hatte, oder Hunderte von Parfümflaschen. Manches Mal habe ich gedacht, wenn ich noch eine weitere Schale blasen muss, werde ich verrückt.

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