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Die Amerikanerin

Die Amerikanerin

Titel: Die Amerikanerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Immer das Gleiche, keine Abwechslung! Aber das hat keinen interessiert. Ich hätte schon meine eigenen Ideen gehabt, so ist das nicht! Einen ganzen Block voller Ideen hatte ich im Laufe der Zeit zusammenbekommen.«
    Er schaute auf, doch Wanda starrte noch immer aus dem Fenster.
    »Aber davon hat Vater nichts hören wollen. Er hat sich meine Sachen nicht einmal angeschaut, sondern gesagt, ich solle meine Zeit nicht verschwenden, wo wir mit der Arbeit kaum nachkämen. Bei anderen Jungen im Dorf war das nicht so: Die haben irgendwann ihre eigenen Sachen gemacht, nicht so wie meine Brüder und ich. Und dann kam Marie mit ihren Entwürfen daher, und auf einmal war der Alte Feuer und Flamme!« Thomas hörte sich an, als könne er das immer noch nicht glauben. »Damals bin ich fast geplatzt vor Neid – das sag ich ganz ehrlich. Aber wen hat’s interessiert?« Er lachte freudlos. »Na ja, lange hat seine Begeisterung für ihre ausgefallenen Stücke auch nicht angehalten, der alte Trott war bald wieder da. Wir haben uns das gefallen lassen, aber Marie nicht. Sie hat’s zu was gebracht! Im Gegensatz zu uns.«
    Wanda tat das Zuhören weh. So hatte sie ihren Vater noch nie erlebt. Sie wagte es nicht, sich umzudrehen, aus Angst,er würde dann im Sprechen innehalten. Gleichzeitig fuhr ihr bei Maries Namen abermals ein ungutes Gefühl durch den Bauch. Wenn ich doch nur wüsste, ob wir uns umsonst Sorgen machen, dachte sie kurz.
    »… und dann, als Sebastian fortging, hatten Michel und ich die Arbeit von drei Glasbläsern zu erledigen. Auch damals hat mich niemand gefragt, wie ich mich fühlte, wenn ich nach vierzehn Stunden Arbeit endlich vom Bolg aufstehen konnte! Nach Michels Unfall war ich schließlich ganz allein, aber die Arbeit musste gemacht werden, sonst war kein Brot auf dem Tisch. In all den Jahren hab ich eines gelernt: Es ist das Beste, wenn man nicht nachdenkt und nicht in sich hineinhört, sondern das tut, was man tun muss.«
    Er erhob sich von seinem Schemel, trat zu Wanda ans Fenster und schaute ebenfalls hinaus. Auf einmal hatte sie das Gefühl, ihm nicht nur körperlich sehr nahe zu sein.
    »Und dann kommst du daher und stellst mir solch eine Frage!«, sagte er leise.
    »Die Zeiten ändern sich. Und ob du es glaubst oder nicht, manchmal auch zum Guten«, murmelte sie heiser.
    »Es war ein … schönes Gefühl«, ertönte es so leise neben ihr, dass Wanda im ersten Moment glaubte, sich die Worte nur einzubilden. Ihr Herz begann wie wild zu pochen. Weiter. Bitte weiter.
    »Ich hatte schon beinahe vergessen, wie dehnbar Glas ist. Aber heute – da hab ich es wieder gespürt: dass Glas eigentlich keine Grenzen hat, dass nur wir Glasbläser unsere Grenzen haben.« Er lachte verlegen. »Was ist das für ein Schwachsinn, den ich hier verzapfe!«
    »Nein!«, rief Wanda, wandte sich ihm zu und erzählte ihm von ihren Ängsten, das Glas würde durch zu viel Blasen platzen.
    Sein Lächeln war fast zärtlich. »Das ist halt die Kunst bei der Geschichte: zu wissen, wann’s genug ist.« In einerunbeholfenen Geste strich er über ihren Arm und verließ die Werkstatt.

24
    »Bei deiner Mutter hat sie sich also auch nicht gemeldet«, sagte Johanna zu Wanda, kaum dass sie das Postamt verlassen hatten. Sie schüttelte den Kopf. »Ich verstehe sie einfach nicht! Davon, dass ich schon seit Monaten keine neuen Entwürfe mehr von ihr bekommen habe, will ich ja gar nicht reden, aber sie muss doch wissen, dass wir uns Sorgen machen. Das ist wirklich typisch Marie!«
    Unvermittelt blieb Johanna stehen.
    »Und dieser Franco scheint mir keinen Deut besser zu sein! Das ist doch alles keine Art! Was ist, hörst du mir überhaupt zu?« Im Gehen zupfte sie an Wandas Arm.
    »Was hast du gesagt?« Wanda schreckte auf. Sie versuchte, einen Tränenschleier fortzublinzeln.
    »Jetzt sieh dich an!«, rief Johanna stirnrunzelnd. »Was gibt es denn da zu heulen?« Doch die Geste, mit der sie Wanda um die Schultern fasste, nahm ihren Worten etwas die Schärfe.
    Nun brach Wanda erst recht in Tränen aus. »Wie kann sie mir das antun? Mutter ist so gemein!«
    Mit welcher Sorgfalt hatte sie ihre Worte gewählt, als sie ihrer Mutter eröffnete, dass sie für immer in Lauscha zu bleiben gedachte! Nächtelang hatte sie über jede Formulierung gegrübelt, aber am Ende war außer dem Knacken der Leitung nur Ruths Schweigen zu hören gewesen. Mit allem schien sie gerechnet zu haben, nur damit nicht. Noch nie hatte Wanda ihre Mutter derart hilflos stammeln

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