Die Amerikanerin
beschwichtigte Ruth sie, »es sind wirklich nur die Heimers, von denen ich nichts mehr wissen will. Auch wenn es lange her ist – mein Leid von damals kann ich einfach nicht vergessen. Das verstehst du doch, oder?«
Ganz so einfach wollte Marie es ihrer Schwester nicht machen. »Schon – trotzdem finde ich es seltsam, dass du Wanda nie von ihrem wirklichen Vater erzählt hast. Irgendwie hat sie doch ein Recht darauf zu erfahren, wo sie herkommt, oder? Sie würde Steven deshalb doch nicht weniger lieben.«
Sie an Wandas Stelle würde es jedenfalls wissen wollen, wenn sie die Tochter eines der besten Glasbläser von ganz Lauscha wäre!
»Oder schämst du dich womöglich wegen deiner Scheidung? Dass Ehen geschieden werden, ist doch gar nicht mehr so selten. Sogar die Freifrau von Thüringen hat sich …«
Ruth schüttelte vehement den Kopf. »Darum geht es nicht. Wenn Wanda wüsste, dass Steven nicht ihr leiblicher Vater ist, würde das alles nur noch komplizierter machen, glaub mir. Von wegen ›ein Recht darauf haben‹, so etwas wäre Wasser auf Wandas Mühlen!« Sie seufzte tief. »Manchmal weiß ich wirklich nicht mehr weiter mit ihr. Meine Tochter beharrt ständig auf ihren Rechten, aber wehe, man verlangt von ihr, auch die Pflichten einzuhalten! Davon will sie nichts hören! In diesem Punkt ähnelt sie ihrem Vater ungemein.«
»Hah – jetzt hast du aber Thomas genannt und nicht ich!«, triumphierte Marie.
»Und eher schneide ich mir die Zunge ab, als dass esnochmals passiert!«, gab Ruth grinsend zurück. »Und was Wanda angeht: Vielleicht wird sie ja wieder ein wenig umgänglicher, wenn sie und Harold erst einmal verheiratet sind.« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Wenn es nur schon so weit wäre … Allerdings bin ich mir ziemlich sicher, dass die beiden über einen Kuss noch nicht hinaus sind. Nicht, dass ich Wanda zu mehr ermutigen wollte, versteh mich bitte nicht falsch! Aber ich wundere mich ein bisschen, dass die beiden so geschwisterlich zueinander sind. Wenn ich so zurückdenke, wie es mir damals mit … Thomas ergangen ist … Ich hatte es kaum erwarten können, endlich in seinen Armen zu liegen. Na ja, und als sich dann Wanda ankündigte, hat es mit der Hochzeit nicht schnell genug gehen können …« Sie lächelte versonnen.
»Vielleicht ist dieser Harold einfach nicht der Mann ihrer Träume«, sagte Marie und musste an Magnus denken. Auch sie hatte noch nie viel empfunden, wenn er sie in den Arm nahm, und wenn sie sich ihm hingab, dann meistens ihm zuliebe. »Vielleicht ist es auch so, dass manche Frauen weniger erotisch veranlagt sind als andere.«
Ruth warf Marie einen skeptischen Blick zu. »Wie dem auch sei, ich hoffe, dass Harold Wanda bald einen Antrag macht! Er muss sich zwar beruflich erst noch etablieren, sagt Steven. Doch meiner Ansicht nach könnte sie keinen Besseren kriegen.«
»Ruth!«, sagte Marie entsetzt. »Das hört sich ja an, als könntest du nicht erwarten, deine Tochter loszuwerden! Wanda ist gerade einmal achtzehn Jahre alt – ist das nicht ziemlich jung zum Heiraten?«
»Worauf soll sie warten?«, antwortete Ruth. »Darauf, dem Falschen zu begegnen und denselben Fehler zu begehen wie ich? Oder als alte Jungfer bei einer kräftezehrenden Sklavenarbeit zu versauern? Stell dir vor, dieses Frühjahr kam sie doch tatsächlich mit der Idee daher, Krankenschwester zu werden! Ich habe geglaubt, nicht richtig zu hören. MeineWanda im blutverschmierten Kittel? Gott sei Dank hat sich durch eine meiner Freundinnen kurz darauf eine Stelle in einer Galerie für sie ergeben.« Sie schüttelte heftig den Kopf. »Krankenschwester – als ob sich ein Mann ernsthaft für solch ein verhärmtes, abgearbeitetes Wesen interessieren würde!«
»Aber wenn es ihr Wunsch ist, anderen Menschen zu helfen? Solltest du dich nicht darüber freuen? Wenn sie erst einmal für ein Weilchen Bettpfannen geleert und eitrige Verbände gewechselt hat, verliert die Arbeit wahrscheinlich von selbst ihren Reiz. Durch eure ewigen Verbote stachelt ihr Wanda doch erst so richtig an.«
»Was für ein Blödsinn! Es hält sie doch niemand davon ab, Bedürftigen zu helfen. Auch ich gehe einmal wöchentlich ins Krankenhaus und lese den Kranken etwas vor. Wie oft habe ich sie schon gefragt, ob sie mitkommen will! Aber das heißt noch lange nicht, dass sie einen Beruf daraus machen soll!«
»Wenn deine Tochter auch nur ein wenig von dir und deinem Dickkopf hat, wirst du es schwer haben, aus ihr das
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