Die Amerikanerin
mittags mit Steven zum Lunch in Restaurants mit wohlklingenden Namen wie »Babette«, »Delmonico« oder »Mamma Leone«. Daran, dass man zum Essen in ein Restaurant ging, obwohl man es nur ein paar Schritte nach Hause gehabt hätte, musste Marie sich erst gewöhnen. Wie an das Essen überhaupt: Krabben, Hummer, pochierte Hühnerbrüstchen und allerlei andere seltsame Dinge, von denen man nicht satt wurde. Viel lieber hätte sie sich mit Ruth zu Hause an den Küchentisch gesetzt und sichvon Lou-Ann ein paar Eier oder Kartoffeln kochen lassen – schlichte Hausmannskost, wie die Köchin sie für sich selbst und die beiden Zimmermädchen zubereitete. Und beim Essen hätten sie sich dann unterhalten können. Über die alten Zeiten. Und über die neuen. Doch das war immer erst abends möglich, wenn sie ins Apartment zurückkamen, vollgepackt mit Päckchen, Taschen und Tüten. Dann trafen sie sich allerdings nicht in der Küche, die Ruth nur selten betrat, sondern wie am ersten Abend in ihrem Salon, bei Tee und ein paar Keksen.
Meist war es dabei so, dass Ruth fragte und Marie erzählte. Ruths Hauptinteresse galt natürlich Johanna und Peter und deren Zwillingen.
»Anna sieht auf allen Fotos, die Johanna mir geschickt hat, sehr streng aus – ist sie das denn wirklich?«, wollte Ruth wissen.
»Streng? Ich weiß nicht …« Marie zuckte mit den Schultern. »Als streng würde ich sie nicht bezeichnen. Ein wenig verbissen vielleicht. Wenn das überhaupt möglich ist, dann ist Anna noch besessener, als ich es in jungen Jahren war. Manchmal komme ich morgens in die Werkstatt, und dann sitzt sie da und hat die ganze Nacht hindurch an einem ihrer Entwürfe gearbeitet!«
Ruth schaute etwas befremdet – so viel Arbeitseifer war ihr schon immer suspekt gewesen. Dann fragte sie nach Magnus. Und danach, ob er Marie immer noch wie ein Hündchen hinterherlief – Ruth hatte noch nie viel von Maries Lebensgefährten gehalten. Sie wollte wissen, wer alles in der Werkstatt arbeitete und wie er sich dabei anstellte, ob das neue Lager in Sonneberg tatsächlich so viele Vorteile bot und so weiter. »Erinnerst du dich noch an unsere erste Produktion für Woolworth? Das ganze Haus war bis unter die Decke mit Kartons vollgepfropft! Wir konnten uns kaum noch bewegen«, sagte sie lachend.
Marie antwortete auf all ihre Fragen nach bestem Wissen und Gewissen, dennoch musste sie manchmal passen, ob es sich nun um geschäftliche Dinge oder einfach nur um Dorftratsch handelte.
»Bist immer noch meine kleine Marie, die nichts anderes im Kopf hat als das Glasblasen.« Melancholisch lächelte Ruth ihre Schwester an. Dann strich sie ihr in einer seltenen zärtlichen Geste über den Kopf. »Umso mehr freue ich mich über deinen Besuch. Dass Johanna einmal kommt, hätte ich ja erwartet. Aber du …«
»Mir ging es nicht so gut in letzter Zeit«, murmelte Marie. »Tapetenwechsel war nötig, so nennt man es wohl.«
Obwohl sie Ruths fragenden Blick sah, holte sie nicht weiter aus. Was hätte sie auch sagen sollen? Dass sie sich so ausgetrocknet fühlte wie ein Dörrapfel? Dass sie Angst hatte, auch nur an ihren Bolg zu Hause zu denken? Ihre Schwester gehörte zwar zu ihren größten Bewunderern, dennoch hatte sie mit ihr noch nie über ihre Glasbläserei und über künstlerische Fragen sprechen können. Stattdessen sagte sie:
»Deinem ehemaligen Schwiegervater geht es übrigens auch nicht so gut. Es heißt, er liege im Sterben.«
Ruths Miene verdüsterte sich augenblicklich.
»Interessiert es dich denn gar nicht, wie es Thomas und seiner Familie geht?«, fragte Marie nach einer Weile, als das Schweigen zwischen ihnen immer länger wurde.
»Wenn du es genau wissen willst: Nein!« Ruth rückte energisch mit dem Stuhl nach hinten. »Mir wäre es ehrlich gesagt recht, wenn du erst gar nicht die Rede auf sie bringen würdest. Von mir aus könnte die ganze Bande von heute auf morgen sterben – es wäre mir gleich!«
Marie sah verwirrt auf. »Aber Ruth – das ist doch auch ein Teil deines Lebens! Und außerdem: Thomas ist Wandas Vater.«
Im nächsten Moment packte Ruth sie hart am Handgelenk.»Und wenn es tausendmal so ist – sag das nie wieder, hörst du? Vor allem nicht, wenn Wanda in der Nähe ist. Steven ist der einzige Vater, den Wanda je hatte.«
»Schon recht, schon recht …« Marie winkte ab. »Ich werde mich hüten, noch einen Ton über die Vergangenheit zu sagen«, fügte sie pikiert hinzu.
»Versteh mich nicht falsch«,
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