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Die Amerikanerin

Die Amerikanerin

Titel: Die Amerikanerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Chef vergeblich auf sie warten, sie konnte ihren neuen Arbeitsplatz nicht antreten.
    Aufgeregt kneteten ihre Finger den braunen Stoff ihres Kleides. Wie viel Sorgfalt hatte sie darauf verwendet, das schlichte Leinenkleid auszusuchen! Sie hatte nicht zu aufgeputzt wirken wollen. Gleichzeitig wollte sie jedoch den Eindruck vermeiden, sich mit den Arbeiterinnen zu verbrüdern – als Aufseherin sollte sie schließlich eine Art Respektsperson sein.
    Und nun? Alles umsonst? Ein weiteres Kleid, das Mutter den Armen und Bedürftigen schenken konnte?
    Ab in den Lumpensack – der Gedanke kam ihr auf einmal so komisch vor, dass sie lachen musste. Laut, schrill und hysterisch.
    Wütend starrte die Anführerin sie an. »Solche wie du haben Schuld, wenn unser Arbeitskampf vergeblich geführt wird. Weil euch die Ernsthaftigkeit fehlt!« Sie bohrte einen harten Zeigefinger in Wandas Brust, noch bevor diese ausweichen konnte.
    Doch Wanda hörte sie gar nicht. Tränen liefen ihr übers Gesicht, sie konnte nicht mehr aufhören zu lachen. Wenn Harold das hören würde … Er würde glauben, sie hätte sich das ausgedacht.
    Ein paar der Umstehenden ließen sich anstecken von ihrem Lachen, das mehr Verzweiflung bedeutete als Heiterkeit. Sie alle hatten Familien daheim, Kinder, und sie wussten nicht, wie sie diese in den kommenden Wochen satt kriegen sollten. Konnte man es ihnen übelnehmen, dass sie Angst vor der eigenen Courage hatten?
    »Lacht ihr nur!«, giftete die Anführerin. »Als ob es einen Grund zum Lachen gäbe! Wir sind im Streik, vergesst das nicht! Aber wenn ihr unsere Ziele verraten wollt, dann genießt weiterhin das süße Leben! Geht abends ins Kino! Verschwendet euer Geld für billigen Tand. Lasst euch von irgendwelchen Männern schöne Worte ins Ohr flüstern!« Unsicher, fast ängstlich reagierten die Zuhörerinnen auf diesen Ausbruch. Warum sollte es ein Verbrechen sein, sich nach vierzehn Stunden Arbeit ein winziges Vergnügen zu gönnen?
    Aus dem Augenwinkel registrierte Wanda die Blicke. Einen Moment lang vermischten sich Hochachtung vor diesen mutigen Frauen und große Sympathie für sie in ihrem Innersten. Doch sie war selbst zu aufgewühlt, was ihre eigene Situation betraf, und so erlosch jedes Mitgefühl sofort wieder.
    Derweil fuhr die Anführerin mit ihrer Agitation fort: »Wer es ernst meint mit unserem Kampf, der soll sich in Solidarität üben!«
    Kleine Spucketropfen landeten in Wandas Gesicht, auf ihrem braunen Kleid.
    »Deshalb sage ich euch: Besucht die Versammlungen der sozialistischen Arbeiterinnen. Und lasst euch nicht weiter mit Zuckerstangen und Tanzweisen abspeisen, wenn ihr Tolstoi haben könnt!«
    Hier und da klatschte eine der Frauen.
    Streitsüchtig funkelte die Anführerin Wanda an.
    »Was willst du eigentlich hier?«, fragte sie leise. »Du gehörst doch gar nicht hierher!«
    Wanda wischte sich die letzte Träne aus dem Gesicht. Ihr Anfall von Heiterkeit hatte sich in Luft aufgelöst und mit ihm ihre Träume von selbst verdientem Geld und Verantwortung.
    »Ich weiß zwar nicht im Einzelnen, worum es bei eurerSache geht, und vielleicht hast du auch recht, wenn du sagst, dass ich nicht hierher gehöre«, gab sie zu.
    Ein dumpfer Schmerz durchfuhr sie, zusammen mit der Frage: Wohin gehöre ich denn eigentlich?
    »Aber eines weiß ich gewiss: nämlich dass mit deiner freudlosen, verbiesterten Art kein Blumentopf zu gewinnen ist! Wenn du den Frauen das Lachen verbieten willst, dann kannst du ihnen gleichzeitig das Atmen verbieten.«
    Abschätzig musterte sie ihr Gegenüber.
    Ein leises Raunen erhob sich unter den umstehenden Frauen.
    Zufrieden stellte Wanda fest, dass es der Anführerin die Sprache verschlagen hatte.
    Sie hob erneut an: »Mit deinen Verboten bist du nicht viel besser als diejenigen, gegen die sich dein Kampf richtet! Das ist zumindest meine Meinung. Wenn etwas Spaß macht, ist man doch mit viel mehr Eifer dabei, oder?«
    Abrupt wandte sie sich um und ging hoch erhobenen Hauptes durch die Menge.
    »Dann mach’s doch besser als die da vorn!«, rief eine Frauenstimme von weiter hinten.
    »Ja, warum schließt du dich uns nicht an? Eine mit großer Klappe können wir immer gebrauchen. Und ein bisschen Spaß sowieso.«
    Ein paar Frauen lachten.
    Wandas Mund war auf einmal ganz trocken, ihre Zunge klebte beinahe am Gaumen fest. Sollte sie …? Sie hatte doch gar keine Ahnung von Streiks und solchen Dingen …
    »Lasst das Baby in Ruhe. Dass die kneift, sehe ich mit einem

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