Die Amerikanerin
einem guten Willen nichts hinter diesem Angebot steckte: Pandora hatte selten genug Geld, ihre Miete zu zahlen, geschweige denn das Gehalt einer Assistentin!
»Das Beste machen?«, wiederholte Pandora jetzt konsterniert. »Aus einem Job als Sklaventreiberin? Weißt du denn nicht, wie es in diesen Fabriken zugeht? Die armen Mädchen und Frauen müssen Hunderte von Stunden in der Woche arbeiten und bekommen gerade einmal ein paar Dollar dafür. Der Lärm ihrer Nähmaschinen ist ohrenbetäubend, das Tempo, mit dem sie die schweren Stoffe zusammennähen, so schnell, dass sie sich dabei immer wieder versehentlich den Finger durchnähen. Fenster und Türen werden verschlossen, damit die Näherinnen nur ja keinen Blick nach draußen werfen oder gar eine unnötige Pause einlegen«, zählte Pandora an den Fingern ihrer linken Hand ab.
» Alle Fabriken werden doch nicht gleich schlecht sein, oder?«, fragte Marie betreten.
»So stand es jedenfalls letzten November ausführlich in den Zeitungen. 15 000 Näherinnen sind damals in einen Streik getreten wegen der schlechten Bedingungen. Es war der größte Streik von Frauen, den es je gegeben hat. Die Fabrikbesitzer waren so entsetzt, dass sie sogar Schlägertrupps angeheuert haben, die die Frauen einschüchtern sollten. Doch die hielten tapfer aus: Drei Wochen lang standen sie in Eis und Schneematsch vor dem Fabriktor. Aus Spaß haben die das sicher nicht getan. Das musst du doch auch gelesen haben!« Kopfschüttelnd wandte sich Pandora wieder Wanda zu.
»Schon«, sagte die gedehnt und rutschte auf der Bank nach vorn. »Aber es heißt doch, es habe sich nach diesem Streik vieles zum Besseren geändert. Als Kontrolleurin kann ich doch auch dafür sorgen, dass diese Verbesserungen eingehalten werden.«
Pandora schüttelte den Kopf. »Und wenn es so wäre – was ich sehr bezweifle! –, ich weigere mich, mit solchen Sklaventreibern zu tun zu haben. So einer könnte mir hundert Dollar für eine Tanzvorführung bieten – ich würde ablehnen!« Wanda seufzte tief. »Trotzdem, es bleibt mir nichts anderes übrig, als mir die ganze Sache wenigstens einmal anzuschauen. Wer weiß? Vielleicht kann ich den Arbeiterinnen sogar helfen? Ich habe mir jedenfalls vorgenommen, diesmal alles richtig zu machen.«
Als sie Marie zustimmend nicken sah, fühlte sie sich schon wieder ein wenig leichter. Alles würde, alles musste gutgehen. Warum hatte sie sich nur von Pandoras Worten so beeindrucken lassen? Nicht, dass Harolds Reaktion wesentlich besser gewesen wäre: Ob sie jetzt die Seiten gewechselt habe und ins Proletariat übergetreten wäre, hatte er sie gefragt. Was für ein Blödsinn!
Das Eis in der silbernen Schale vor ihr war während des Wortwechsels zu einem rosafarbenen Seezusammengeschmolzen. Mit neuem Elan begann Wanda diesen nun auszulöffeln.
»Bei meinen letzten Arbeitsstellen hat stets eine unglückliche Verquickung von Zufällen zu meiner Entlassung geführt. Aber meine Pechsträhne kann ja nicht ewig anhalten, oder?«
Wieder sah sie Marie heftig nicken. Pandora verzog nur den Mund.
»Diesmal wird alles gut werden, das ahne ich!«
*
Während Marie bei Wanda immer das Gefühl hatte, nur das zu sehen zu bekommen, was diese bereit war preiszugeben, war sie bei der Tänzerin davon überzeugt, dass ihr keine einzige Regung verborgen blieb: Pandora Wilkens war ein einziges Feuerwerk von guten Gefühlen. Noch nie hatte Marie einen Menschen getroffen, der das Leben mit einer solchen Leichtigkeit anging. Konnte schon Wanda im Umgang mit Fremden beträchtlichen Charme entwickeln, so war Pandora die wahre Meisterin in diesem Fach. Sie hatte zwar fast nie Geld, doch an Spaß mangelte es ihr trotzdem nicht. Immer fand sich jemand – darunter auch Marie und Wanda –, der gern für Pandoras Ausgaben aufkam.
Und so war es für Marie eine Selbstverständlichkeit, dass sie die Eintrittskarten für das Metropolitan Museum bezahlte, vor allem, da es sie viel Überredungskraft gekostet hatte, Pandora zum Mitgehen zu bewegen. Ihre Leidenschaften lagen eher bei den jungen, wilden Künstlern, hatte die Tänzerin erklärt.
Doch als sie in den Saal kamen, der den alten niederländischen Meistern gewidmet war, verschwand ihre gelangweilte Miene. Rembrandt, Breughel, Jan Steen, Vermeer –wie ein Schmetterling huschte Pandora von einem Kunstwerk zum nächsten, nippte hier, trank dort. Immer tiefer tauchte sie ein in das Meer von Goldtönen und Sonnenstrahlen, von dunklen Schatten und
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