Die Amerikanerin
hellen Umrissen. Ihre Augen bekamen einen glasigen Schimmer wie nach zu viel Rotwein, und immer wieder stieß sie Freudenjuchzer aus.
Marie, die ehrfurchtsvoll vor den Bildern stand, die sie bisher nur aus den Kunstbüchern kannte, schaute erschrocken zu, als Pandora anfing, sich vor einem Frauenporträt von Peter Paul Rubens hin- und herzuwiegen. Sie würde doch nicht hier zu tanzen beginnen?!
»Schau dir nur diesen Rücken an! Wie in Gold getaucht. Und diese blonden Haare! Schon ein bisschen schütter für eine so junge Frau, dennoch … so … lustvoll gemalt! Als ob er jede Strähne innig liebt. Der hat genau das gemalt, was er gesehen hat: jede Falte, jeden Fleischwulst. Unglaublich! Man will anfassen, fühlen … diese weiche, kremige Haut. Und dieser breite Popo – ziemlich erotisch, findest du nicht?« Sie lachte laut auf. »Die Gute hat ganz schön ausgeprägte Hüften, nicht wahr? Aber manche Männer finden ja gerade so etwas sehr reizvoll.«
»Ich glaube, damals war es Mode, etwas fülliger zu sein.« Marie lächelte. Rubens ein lüsterner alter Herr? Was würde wohl Herr Sawatzky zu Pandoras eigenwilligen Ansichten sagen? Sie trat näher an die Messingtafel heran, die unter dem Bild hing.
»Da steht, dass er das Bild nach seinen Reisen nach Spanien und Italien gemalt hat und dass die Einflüsse, die er …«
»Wen interessiert denn das!«, unterbrach Pandora sie. »Das ist doch alles schon mehr als dreihundert Jahre her. Für mich ist nur wichtig, was ich heute, hier und jetzt, empfinde!« Tänzerisch drehte sie sich einmal um ihre Achse.
»Jetzt schau nicht so entsetzt!« Pandora war Maries Blick nicht entgangen. »Zugegeben, ich hätte auch nicht gedacht, dass ich diese alten Schinken so inspirierend finden würde. Aber deshalb muss ich doch nicht niederknien und sie anbeten, oder?«
Marie schaute immer noch zweifelnd. »Ehrlich gesagt, wecken diese Bilder in mir genau dieses Gefühl: Ich will mich still hinsetzen und sie anbeten.«
Pandora tätschelte ihr den Arm. »Zu viel Ehrfurcht tut niemandem gut! Sieh mich an: Musik, Dichtung, Malerei – nur wenn ich mich von einem Meister seines Fachs inspirieren lasse, kann ich so gut sein, wie ich bin«, sagte sie selbstgefällig. »Ohne Inspiration würde ich immer noch den Schwanensee auf Spitze tanzen und die jungen Leiber meiner Schülerinnen mit altmodischen Ballettübungen quälen. Offenheit und Inspiration sind Schwestern der Kunst – ohne sie kann nichts Neues geschaffen werden.«
Arm in Arm steuerten sie kurz darauf das Café des Museums an. Als der Kellner zwei Gläser Weißwein vor sie hingestellt hatte, beugte sich Marie plötzlich nach vorn. Bevor sie es sich wieder anders überlegen konnte, schwappte alles aus ihr heraus. Zu lange hatte sie die quälenden Gedanken bei sich behalten. Sie musste endlich darüber reden, über ihre innere Lähmung, das Gefühl, unbrauchbar zu sein wie ein leergefischter Teich.
Pandora hörte mit unbeweglicher Miene zu, nahm nur hin und wieder einen Schluck Wein.
»Seit ich hier bin, warte ich darauf, dass mich ›die Muse küsst‹! Die Stadt, die vielen Menschen und neuen Eindrücke – verflixt noch mal, das muss doch irgendetwas in mir auslösen!« Marie warf die Hände in die Höhe. »Von wegen! Ich will nicht einmal an die Glasbläserei denken! Das geht inzwischen so weit, dass alles, was mit zu Hause zu tun hat, für mich wie ein rotes Tuch ist. Ich bekommePanikanfälle, wenn ich daran denke, dass ich nach dieser Reise zurück an meinen Bolg und da weitermachen muss, wo ich aufgehört habe.« Als Pandora immer noch schwieg, erzählte sie ihr schließlich sogar von ihrem Alptraum. Erschöpft und traurig lehnte sie sich dann zurück.
»Was ist? Hat meine Unfähigkeit dir die Sprache verschlagen?«
»Blödsinn! Du brauchst gar nicht weiterzusprechen!«, sagte Pandora. »Ich weiß genau, wie es dir geht. Oder besser gesagt: Ich weiß es nicht, weil ich in der glücklichen Lage bin, noch nie eine solche Blockade erlebt zu haben. Ich würde sterben, wenn ich nicht tanzen könnte!«, rief sie so laut, dass sich einige Köpfe nach ihr umdrehten. Sie bedachte die anderen Gäste mit einem gnädigen Lächeln. »Aber ich kenne so viele Künstler, die auch schon einmal durch dieses Tal der Tränen mussten: Maler, Dichter, Musiker, Bühnenkünstler – such dir einen aus!«
Wie immer, wenn sie sprach, halfen ihre Hände heftig dabei mit.
»Ich sag dir eines: Es nutzt gar nichts, wenn du krampfhaft
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