Die Amerikanerin
folgte. Vielleicht hatte Franco recht. Trotzdem sträubte sich etwas in ihr, ihm einfach nachzugeben.
»Ich habe noch nie in meinem Leben eine Freundin gehabt. Daheim in Lauscha hatte ich gar keine Zeit für Freundschaften, mein Leben lang habe ich nur gearbeitet.« Sie machte ein nachdenkliches Gesicht. »Vielleicht ist es auch so, dass die Frauen bei uns im Dorf mich für ein seltsames Wesen halten.«
Sie lachte auf. Eine Frau, die wie ein Mann von früh bis spät an ihrem Bolg saß – die konnte den anderen ja nicht ganz geheuer sein!
»Aber hier habe ich plötzlich zwei, und wenn man Wanda dazuzählt, sogar drei Freundinnen. Sie mögen mich und ich mag sie. Und jede ist auf ihre Art mindestens so … schrullig wie ich! Doch hier findet niemand etwas dabei, wenn eine Frau ihren eigenen Weg geht! Das ist für mich eine völlig neue Erfahrung! In Lauscha war ich doch immer die Außenseiterin, auch wenn sich die Leute inzwischen an meinen Beruf gewöhnt haben.«
Franco erwiderte nichts. Einen Moment lang hing jeder seinen Gedanken nach.
Wie konnte sie ihm nur klarmachen, dass es keinen Grund gab, eifersüchtig auf Pandora oder irgendeinen anderen Menschen zu sein? Nichts glich dem Gefühl, das sie für ihn empfand! Noch nie war sie so verliebt gewesen, so schrecklich kindisch verliebt, dass sie seine Hand am liebsten nicht mehr losgelassen hätte. Dass sie sich zwingen musste, ihn nichtunablässig mit großen Augen anzuhimmeln. Dass sie seinen Mund, diese festen, männlichen Lippen am liebsten ständig geküsst hätte. Dass sie …
Franco ärgerte sich. So kam er bei ihr nicht weiter. Dabei wusste er ganz genau, was ihre Kreativität wieder zum Sprudeln bringen würde: seine Liebe. Seine Hände auf ihrem Körper, seine Küsse auf ihrer nackten Haut. Leidenschaftliche Nächte, in denen er sie zur Frau machen würde. Aber noch musste er sein Begehren zügeln – Marie war nicht wie Sherlain oder eine dieser anderen Frauen, die sich jedem Dahergelaufenen hingaben. Natürlich wusste er, dass sie keine Jungfrau mehr war – sie selbst hatte ihm von diesem Mann namens Magnus erzählt. Viel konnte er ihr jedoch nicht bedeutet haben, dafür war ihr Ton zu gleichgültig gewesen. Ihm kam es stattdessen so vor, als ob die Kunst bisher ihr einziger Liebhaber gewesen war. Marie hatte etwas so Unschuldiges, so Unberührtes an sich …
Wie damals Serena.
Er räusperte sich. »Verzeih mir, wenn ich dich gekränkt haben sollte. Mir kommt es nur manchmal so vor, als ob du dich mehr für diese Frauen interessierst als für mich! Was weißt du denn schon über mich?« In einer hilflosen Geste hob er die Hände.
»Ich weiß zum Beispiel, dass du mein schöner Italiener bist. Mein eifersüchtiger, schöner Italiener.« Neckisch küsste Marie erst seinen kleinen Finger, dann die restlichen. »Und ich weiß, dass ganze Schiffsbäuche mit Wein-Kisten der Familie de Lucca gefüllt werden. Dass jährlich Tausende von Fässern von Genua nach Amerika verschifft werden und dass du deren Auslieferung überwachen musst, obwohl du dich viel lieber nur um eure Weinberge kümmern würdest.«
Wie eine gelehrige Schülerin zählte sie ihm Punkt für Punkt auf.
»Und ich weiß, dass ich noch nie in einen Mann so verliebt war wie in dich«, flüsterte sie rau.
Für einen Moment versanken sie in den Augen des anderen. Doch dann trat ein Kellner an ihren Tisch und fragte, ob er noch etwas bringen solle. Franco verlangte nach der Rechnung, und der Kellner ging, um sie zu holen.
»Wein so weit zu verschicken – lohnt sich das denn?«, fragte Marie. »Ich meine …« Sie lachte verlegen, als sie Francos unsichere Miene sah. »… die Amerikaner bauen doch sicher ihren eigenen Wein an, oder?« Erst als sie ausgesprochen hatte, kam ihr der Gedanke, dass Franco ihre Frage vielleicht unhöflich finden konnte.
»Die Amerikaner schon, aber die hiesigen Italiener nicht«, antwortete Franco, während er nach seinem Portemonnaie kramte. »Bei Überseegeschäften muss man sich geschickt anstellen, muss wissen, welchen Markt man bearbeiten will. Wir liefern beispielsweise nur an unsere Landsleute«, erklärte Franco. »Weißt du übrigens, dass hier mehr Italiener leben als in Rom? Es heißt sogar, New York habe mehr italienische Bürger als Genua, Florenz und Venedig zusammen!«
Marie runzelte die Stirn und wollte ihn fragen, warum das so war, doch sie kam nicht dazu.
»Italien ist arm. Den wenigsten Menschen geht es so gut wie meiner Familie.
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