Die Amerikanerin
anderen Welt lebt, können die sich ja nicht vorstellen«, sagte Pandora, während sie sich an einem Stapel Hutschachteln zu schaffen machte.
Wanda verzog das Gesicht. Das hörte sich schon wieder ganz nach der alten Pandora an!
»Zweitens werde ich mit deinem Vermieter sprechen und ihm die Miete für den laufenden Monat sowie die für August geben.«
»Das kann ich doch nicht annehmen!«, widersprach Pandora, hatte jedoch im selben Moment schon ihre Hutschachteln auf dem Treppenabsatz abgestellt.
Wanda spürte einen Anflug von Ärger. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass Pandora nur auf einen gutmütigen Trottel wie sie gewartet hatte. Nun ja, und wenn es so war! Einer musste sich dieses unorganisierten Weibsbildes schließlich annehmen.
»Und drittens …« – sie pausierte, bis Pandora, die gerade einen ledernen Koffer aufhob, zu ihr hinüberschaute – »drittens werde ich eine Tanzvorführung für dich organisieren, damit wieder Geld in deine Kasse kommt.«
11
Es war drückend heiß. Die Luft flimmerte über den Straßen, die Mauern der Häuser hatten sich bis Mittag wie glühende Bettziegel erhitzt, und die Bäume zwischen den Häuserfluchten verloren aus Wassermangel ihre Blätter wie sonst erst im Herbst.
An einem solchen Tag gab es eigentlich nur einen Platz, wo man seine Zeit einigermaßen angenehm verbringen konnte – nämlich am Wasser, sagte sich Franco und entführte Marie nach Coney Island.
Wie er es sich erhofft hatte, war Marie vom ersten Moment an verzaubert von der besonderen Atmosphäre des Vergnügungsparks. Sie verbrachten Stunden damit, Karussell zu fahren, sich von einer Magierin die Zukunft vorhersagen zu lassen – »Glückliche Stunden stehen in euren Sternen«, als hätten sie das nicht selbst gewusst! –, Eis zu essen und Hand in Hand barfuß am Strand zu spazieren, um sie herum glückliche Menschen mit glücklichen Gesichtern. Doch niemand war glücklicher als er, Franco.
Sie waren ein schönes Paar. Immer wieder starrten andere Besucher zu ihnen herüber. Noch nie hatte Franco die Aufmerksamkeit von Fremden derart genossen. »Schaut nur alle her!«, hätte er jedem zurufen wollen. »Schaut und bewundert die schönste Frau auf Gottes Erde. Aber bleibt ihr fern, denn sie ist mein!«
Als es dunkel wurde, trieb der Glanz der Abertausenden von Lichtern im Luna-Park Marie die Tränen in die Augen. Ihren Kopf an Francos nach Tabak duftende Brust gelehnt, erzählte sie ihm von Lauscha und irgendwelchen Flammen der Glasbläser – sie kannte das englische Wort dafür nicht –, die allnächtlich wie Glühwürmchen aus den Fenstern der Hütten nach draußen leuchteten. Eifersüchtig registrierte er die Melancholie in ihrer Stimme. Woher rührte sie? Dachte sie an jemand Bestimmten in ihrer Heimat? Doch schon im nächsten Moment küsste sie ihn und war wieder seine anbetungswürdige Marie. Er drückte sie noch fester an sich.
»Es gibt eine Art von Zauber, den man nur mit dem eigenen Zuhause verbindet. Bei uns in Genua findet zum Beispiel jedes Jahr in der Mitte des Sommers ein Feuerwerk statt. Es ist mindestens so groß wie das Feuerwerk zum Jahreswechsel, und es wird von Schiffen abgeschossen, die im Hafenbecken vor Anker liegen. Wenn dann tausend Sterne gleichzeitig explodieren, sieht das Meer wie verzaubert aus. Von unserem Palazzo aus hat man eine wundervolle Sicht, man sieht jede Sternschnuppe, die ins Wasser fällt.« Franco deutete mit der Hand auf das Meer vor ihnen, dessen Wasser in der Dämmerung bräunlich schimmerte. Wie viel blauer, wie viel lieblicher waren die Gewässer in seiner Heimat!
Marie lächelte. »Das hört sich wunderschön an. Erzähl weiter.«
»Als Junge habe ich mir nichts sehnlicher gewünscht, als endlich erwachsen genug zu sein, um so lange aufbleiben zu dürfen, bis das Feuerwerk abgeschossen wird. ›Bin ich diesesJahr endlich groß genug?‹, habe ich meine Mutter jeden Sommer gefragt, doch vergeblich. Es ist Tradition, dass in dieser Nacht eine große Feier in unserem Haus stattfindet – ein Kind hätte da ihrer Ansicht nach nur gestört. Doch meine Großmutter Graziella hatte ein Herz. Wie so oft!« Die Erinnerung ließ ihn lächeln. »Kurz vor dem Feuerwerk kam sie regelmäßig in mein Zimmer, weckte mich und nahm mich heimlich mit nach oben in ihre Räume. Gemeinsam standen wir dann am Fenster und schauten zu, wie die Sonne und der Mond verbrannten. Danach hat sie mich wieder zu Bett gebracht, mir ein Bonbon zugesteckt und ist zu
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