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Die Amerikanerin

Die Amerikanerin

Titel: Die Amerikanerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Du weißt ja selbst, dass es in Europa kaum Fabriken gibt. Wovon sollen die Menschen also leben? Wer kein Land besitzt …« Franco zuckte mit den Schultern. »Jeder, der hier ankommt, hat sehr viel dafür auf sich genommen. Manche Familien sparen viele Jahre, um wenigstens einen Sohn nach Amerika schicken zu können. Sie alle glauben, hier liege das Glück auf der Straße!« Er schüttelte den Kopf. »Nun, ganz so ist es nicht, wie wir wissen, aber den meisten Italienern geht es gar nicht so schlecht hier.«
    Plötzlich leuchtete Francos Gesicht auf. »Lass mich dir doch auch einmal mein New York zeigen, damit du ein paarvon meinen Landsleuten kennenlernst! Nächstes Wochenende gibt es in der Mulberry Street ein großes Fest zu Ehren von San Rocco, unserem Schutzpatron – ich könnte dich Sonntagmittag abholen.«
    »Ein Fest zu Ehren eines Schutzpatrons, wie romantisch sich das anhört … Ich komme gern mit!« Im nächsten Moment verschwand Maries Lächeln. »Dann ist auch Ruths Fest vorüber, und ich kann wieder über meine Zeit verfügen, wie ich will.« Sie zog eine Grimasse. »Morgen will sie mit mir und Wanda ein Ballkleid kaufen gehen! Das wird sicher wieder den ganzen Tag in Anspruch nehmen. Du siehst, ich komme einfach nicht zum Ausspannen!«
    Franco lachte. »Wie kann eine so schöne Frau wie du nur so uneitel sein? Am liebsten würde ich deiner Schwester sagen, sie soll dir zehn Ballkleider kaufen! Aber sie müssen einer Königin würdig sein.« In seinen Augen funkelte Besitzerstolz, als er über ihre Haare strich. »Wie die feinste Genueser Seide. Wehe, du lässt deine Haare jemals abschneiden, wie deine Nichte es getan hat. Du würdest eine Todsünde begehen!«
    Marie spürte, dass ihr wieder einmal die Röte ins Gesicht schoss. Komplimente zu hören, daran hatte sie sich immer noch nicht gewöhnt. Sie seufzte.
    »Dass Ruth so viel Trara wegen mir macht, gefällt mir trotzdem nicht. Wenn du wenigstens dabei sein könntest! Kannst du deinen Geschäftstermin nicht doch auf einen anderen Tag legen?«
    Seine Miene verdunkelte sich.
    »Du weißt, wie gern ich das tun würde. Aber am Samstagabend kommt die ›Malinka‹ an. Ich muss unbedingt dabei sein, wenn sie entladen wird. Beim letzten Mal hat es einen Zwischenfall gegeben, der … Mein Vater …« Er biss sich auf die Unterlippe. »Es gibt Dinge, die nicht ganz einfach zu erklären sind. Um nicht zu sagen –«
    Marie ergriff seine Hand. »Du brauchst nichts weiter zu erklären. Die Arbeit geht vor, das verstehe ich doch. Dafür gehört der Sonntag uns beiden, nicht wahr?«, sagte sie in bemüht leichtem Ton. Sie wollte nicht, dass er ihr gegenüber ein schlechtes Gewissen hatte, nur weil er einmal keine Zeit für sie hatte. Wo es doch mehr als einen Abend gab, an dem sie ihn wegen einer Lesung, einer Vernissage oder einfach wegen eines Abends mit ihren Freundinnen versetzt hatte!
    Als der Kellner erneut an ihren Tisch trat und Franco die Rechnung beglich, verspürte Marie einen Hauch von Erleichterung. Sie wusste zwar nicht warum, aber das Gespräch mit Franco war ziemlich anstrengend gewesen. Erst seine Klagen, sie würde zu viel Zeit mit ihren Künstlerfreunden verbringen, dann ihre indiskrete Frage nach den Geschäften seiner Familie … Seltsam war das. Dabei hatte sie noch nie für einen anderen Menschen so leidenschaftlich empfunden.
    Ein panikartiges Gefühl breitete sich in ihr aus, als sie an Francos Arm in Richtung Ausgang des Vergnügungsparks schlenderte. Nein, sie wollte nicht in den noch immer glutheißen Asphaltdschungel der Stadt eintauchen. Sie wollte mit Franco allein sein, weit weg von allen Fragen, nur er und sie und ihre leidenschaftliche Zuneigung wie eine frische Brise zwischen ihnen.

12
    Trotz ihrer Vorbehalte gegenüber dem Ball, der ihr zu Ehren gegeben wurde, amüsierte sich Marie prächtig: Ruths Gäste waren sehr nett, wenn auch etwas steif, die Musik war wundervoll, der Saal, den Ruth im obersten Stockwerk des Apartmenthauses für diesen Abend gemietet hatte, ein Traum.
    Schon die Vorbereitungen waren vergnüglich gewesen: Ruth hatte speziell für diesen Tag einen französischen Figarobestellt, der pünktlich um neun Uhr morgens zusammen mit zwei Gehilfen auftauchte. Danach hatten Ruth, Wanda und sie den Vormittag damit verbracht, die neueste französische Frisurenmode auszuprobieren. Während Jacques und die beiden anderen wickelten, kämmten, hochsteckten und flochten, hatten sie die Muße, einen ganzen Stapel

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