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Die Amerikanerin

Die Amerikanerin

Titel: Die Amerikanerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Wangen, ihre Lippen waren schmal und vorwurfsvoll geschürzt.
    »Liebes Schwesterherz, ich glaube, du hast eine völlig falsche Vorstellung davon, wie Maries Besuch bei uns vonstattenging! Ich war ihr dabei nämlich ziemlich schnuppe, die meiste Zeit hatte sie es nur auf ihr Vergnügen abgesehen!«
    Schnuppe? So hatte Wanda ihre Mutter selten reden gehört. Überhaupt: Ihre ganze Attitüde war fremd, fast hätte man sie gewöhnlich nennen können. Mit einem Plumps ließ Wanda sich auf die samtbezogene Chaiselongue neben Ruth fallen und lauerte auf ihre nächste Chance, das Gespräch auf ihren Besuch in Lauscha zu bringen.
    Es war das erste Mal, dass Tante Johanna in die nächstgrößere Stadt aufs Postamt gegangen war, um bei ihnen anzurufen. Obwohl Mutter schon seit Ewigkeiten darauf drängte, dass Peter und Johanna sich einen Telefonanschluss legen ließen, war dies bisher nicht geschehen. Johanna schrieb hartnäckig ellenlange Briefe, auf die sie ebenso lange Antworten erwartete. Doch Maries Nachricht, dass sie nicht wie geplant heimkommen würde, sondern ihre Reise mit einem fremden Mann ins herbstliche Tessin, genauer gesagt in einen Ort namens Monte Verità, fortsetzen würde, hatte die Verwandtschaft in Lauscha scheinbar in hellsten Aufruhr versetzt – ein Brief schien da plötzlich nicht mehr das geeignete Mittel zur Verständigung zu sein.
    »Nicht sie ist krank! Eine ihrer Begleiterinnen ist es, das sagte ich doch schon. Es muss die Dichterin sein, Wanda sagt nämlich, ihre Tanzlehrerin sei letzte Woche noch putzmunter gewesen … ach, das ist doch auch egal!«
    Ruth winkte ab und hielt eine Hand auf die Sprechmuschel.
    »Da hat Marie etwas angerichtet! Sie speist Johanna mit ein paar lächerlichen Zeilen ab, und nun soll ich ihr unmögliches Verhalten erklären!«, zischte sie Wanda zu. »Stell dir vor, sie hat nicht einmal Magnus geschrieben, der arme Tropf musste sozusagen nebenbei erfahren, dass Marie mit einem anderen Mann auf und davon ist!«
    Ruths Brust bebte. Sie wandte sich erneut der Sprechmuschel zu.
    »Nein, Johanna, ich habe gerade mit Wanda geredet! Ja, sie sitzt neben mir und lässt dich herzlich grüßen.«
    Bevor Wanda einen Ton sagen konnte, traf sie Ruths drohender Blick.
    »Franco de Lucca? Natürlich stammt er aus Italien, das hört man doch schon am Namen! Wieso sie dann in die Schweiz gereist sind?« Ruth verdrehte die Augen. »Weil sie die kranke Dichterin dort in ein Sanatorium bringen wollen! Dass es in der Schweiz sehr gute Einrichtungen gibt, weiß man ja. Trotzdem hätte ich angenommen, dass jemand aus New York eine Institution in Neu-England oder Maine vorzieht, man stelle sich allein die Reisekosten vor! Aber scheinbar kommt Franco für alles auf, frag mich bitte nicht, warum! Marie hat etwas davon gefaselt, dass sie die Kranke in ein Sanatorium bringen wollen, das von Künstlern betrieben wird – vielleicht bildet sich die Dichterin ein, dass sie unter ihresgleichen schneller gesund wird.«
    Daraufhin schien Johanna etwas zu antworten, was Ruth abermals mit einem heftigen Stirnrunzeln quittierte.
    Mit dem Zeigefinger kratzte Wanda das Samtpolster gegen den Strich auf und wurde sofort von Ruth daran gehindert.
    »Um Marie Sorgen machen? Dazu sehe ich ehrlich gesagt keinen Grund. Mit diesem Franco hat sie sich einen dicken Fisch geangelt, lass dir das gesagt sein. Du müsstest das Diadem mal sehen, das er Marie geschenkt hat. Ein Diadem!«, brüllte sie. »Außerdem macht sie sich ja auch keine Sorgen um euch. Oder kümmert es sie etwa, wie ihr in den nächsten Wochen ohne sie zurechtkommen werdet?«, setzte sie zänkisch nach. Unter ihrem rechten Auge begann ein Nerv zu zucken.
    Wanda seufzte innerlich. Wenn Mutter Migräne bekam, konnte sie ihr Vorhaben, sie wegen der Reise zu beknien, vergessen.
    »Unser Nesthäkchen hat nur ihr eigenes Vergnügen imKopf. Doch, das kannst du mir glauben. Ich weiß, dass sich das nicht nach der alten Marie von früher anhört!«
    »Warum fragst du Tante Johanna nicht endlich, wann ich sie besuchen kann?« Eindringlich rüttelte Wanda am Arm ihrer Mutter.
    »Bist du jetzt still!«, zischte Ruth. Und in die Sprechmuschel sagte sie: »Ich habe Wanda gemeint, nicht dich. Was sie will?« Ruth seufzte abgrundtief. »Wenn ich darauf jetzt auch noch eingehe, dann gibt es nächsten Monat bei euch nichts zu essen, weil die Telefonrechnung ins Uferlose steigt! Ich werde dir Wandas Wunsch in einem Brief mitteilen und einiges andere noch dazu!«,

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