Die Amerikanerin
während der Reise. Wenn wir erst einmal in Genua sind, werde ich dir die besten Werkzeuge kaufen, die es gibt. Dazu Glas in den schönsten Farben, Röhren, Stäbe, alles, was du willst und …«
»Ich habe noch nicht Ja gesagt!« Marie bemühte sich um eine strenge Miene, spürte jedoch im selben Moment, dass ihr dies misslang. Was Franco sagte, klang so verführerisch, als würde er die feinsten Leckereien auf einem Picknicktuch vor ihr ausbreiten. Sie musste nur zugreifen und genießen …
»Aber das wirst du, da bin ich mir sicher!«, erwiderte Franco und winkte den Barbesitzer herbei. »Eine Flasche Champagner für die schönste Signorina der Welt!«
»Du bist unmöglich!«, lachte Marie. »Mein schöner, unmöglicher Italiener!« Sie wurde wieder ernst. »Lass mir Zeit, wenigstens noch ein, zwei Tage – darum bitte ich dich.«
Sie atmete auf, als sie sein zögerliches Nicken sah. Dann räusperte sie sich.
»Ich habe auch etwas mit dir zu bereden … Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich gern noch auf einen Sprung bei Sherlain vorbeigehen. Gestern hätte sie eigentlich eine Lesung abhalten sollen, doch sie ist nicht erschienen. Über vierzig Leute haben umsonst gewartet! Pandora und ich waren auch da, wir haben vermutet, dass sie krank ist – Sherlain war in letzter Zeit noch blasser als sonst, mir erschien sie sehr bedrückt –, aber als wir nach ihr schauen wollten, war sie nicht in ihrem Zimmer. Ich weiß, dass du es für übertrieben hältst, aber ich mache mir Sorgen um sie«, fügte sie fast trotzig hinzu.
Franco hob abwehrend die Hände. »Solange es bei einem kurzen Besuch bleibt und du nicht vorhast, die halbe Nacht Krankenschwester zu spielen – kein Problem. Ich habe nämlich heute Nacht noch etwas anderes vor …« Er griff nach ihrer Hand und küsste einen Fingerknöchel nach dem anderen. »Nämlich meine ganz besonderen Überredungskünste bei dir einzusetzen …«
Diesmal befand sich Sherlain in ihrer Kellerbehausung. Und sie war nicht allein. Schon von der Treppe aus erkannte Marie Pandoras leuchtend rote Stola.
»Du bist auch hier? Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich mir weniger Sorgen gemacht.« Den Kopf eingezogen, eine Hand am klapprigen Geländer, nahm Marie die letztenStufen, als ein widerwärtiger Geruch in ihre Nase stieg. Schlagartig wurde ihr mulmig zumute.
Dann sah sie Sherlain und musste einen Schrei unterdrücken.
Die Dichterin lag in einer riesigen Blutlache. Ihr Rock, die grauen Laken – alles war rotbraun von Blut, das an manchen Stellen schon angetrocknet war. Fiebriger Schweiß stand ihr auf der Stirn, das Weiß ihrer Augen war fahl wie bei Gelbsuchtkranken. Ihre Augen waren weit aufgerissen. Bei Maries Anblick flackerten sie kurz auf.
Wie in Trance kniete Marie neben dem dreckigen Lager nieder.
»Sherlain …, was hast du denn?« Sanft rüttelte sie an ihrem Arm, der wie bei einer Puppe hin- und herschlenkerte. Statt einer Antwort kam nur ein Stöhnen. In Maries Ohren begann es laut und unaufhörlich zu summen.
Heiliger Vater im Himmel, hilf!
»Pandora, sag, was ist los mit ihr?«
Die Tänzerin schüttelte nur den Kopf. Ihre Augen waren rot gerändert, sie sah müde und traurig aus. Sie tauchte einen schmuddeligen Lappen in einen Eimer mit brackigem Wasser, wrang ihn aus und legte ihn Sherlain auf die Stirn.
»Steh auf, Marie, wir gehen. Das hier ist nichts für dich!«
Marie schaute zu Franco, der mit unbeweglichem Gesicht am Fuß der Treppe stand.
»Was redest du da? Ich kann doch jetzt nicht gehen! Ein Arzt muss her. Du musst einen Arzt holen, sie verblutet!« Und als er sich nicht regte, fügte sie hinzu: »Franco, lass dich doch nicht so bitten! Ich warte hier, während du einen Arzt holst.«
»Lass es gut sein, Marie«, sagte Pandora mit blecherner Stimme. »Kein Arzt würde ihr helfen! Aber es war schon jemand da, eine Krankenschwester, die nach ihr geschaut hat. Das Schlimmste ist vorbei, sie wird überleben.«
»Eine Krankenschwester? Warum liegt sie dann noch so … Wenn es wegen des Geldes ist – ich zahle für alles!«
»Marie, beruhige dich!« Pandoras Stimme klang gereizt. »Muss ich mich jetzt auch noch um dich kümmern?«
Marie wich zurück, als hätte sie einen Schlag ins Gesicht bekommen.
»Warum seid ihr so … kaltschnäuzig?«, schluchzte sie und wich Franco aus, der seine Hand nach ihr ausstreckte. »Sherlain …«
Was war mit der stolzen Dichterin? Tausend Gedanken schossen Marie durch den Kopf, sie
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