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Die Amerikanerin

Die Amerikanerin

Titel: Die Amerikanerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Marie der Gedanke, auf dem Monte Verità Künstler aus ganz Europa treffen zu können – ein Aspekt, der auch Pandora bewogen hatte, sich ihnen anzuschließen. Marie konnte es nicht erwarten, nach den amerikanischen nun auch europäische Inspirationen in ihre Arbeit einfließen zu lassen. Was das bewirken sollte, war Wanda unklar – wo Maries Zeichenblock ohnehin schon überzuquellen drohte! Außerdem – und an dieser Stelle hatte Marie kurz gezögert – würde ein Aufenthalt in Ascona ihre Reise mit Franco nach Genua noch ein wenig aufschieben.
    »Bei dem Gedanken, Francos Vater und der Contessa das erste Mal gegenüberzustehen, wird mir nämlich richtig schlecht«, hatte sie Wanda gestanden. »Ich kann mir zwar nicht mehr vorstellen, auch nur einen Tag ohne Franco zu verbringen, aber manchmal bekomme ich einfach Angst vor der Zukunft. Außerdem ist mir schleierhaft, wie ich das alles Johanna beibringen soll …«
    Wanda schmunzelte. Nachdem Maries vermeintlich verzögerte Rückreise schon einen solchen Aufruhr in Lauscha ausgelöst hatte, wollte sie sich gar nicht vorstellen, was dort los sein würde, wenn Johanna erst erfuhr, dass Marie ihrem schönen Italiener nach Genua gefolgt war!
    Wanda stieß einen sehnsuchtsvollen Seufzer aus. Maries Leben war so bunt und aufregend! Sie hatte einen wunderbaren Beruf, Pandora als Freundin, einen attraktiven Liebhaber und nun auch noch diese aufregenden Zukunftspläne!
    Sie, Wanda, hatte gar nichts. Nicht einmal mehr eine Tanzlehrerin, von einem leidenschaftlichen Liebhaber ganz zu schweigen – wenn Harold sie umarmte, dann wie ein großer Bruder, und genauso waren auch seine Küsse: trocken und hingehaucht. Und ihre Reise nach Deutschland stand auchnoch in den Sternen. Dutzende Male hatte sie ihre Eltern deswegen angefleht, aber auf ihre Einwilligung wartete sie nach wie vor vergeblich.
    Mit geschlossenen Augen holte Wanda tief Luft. Wie es wohl roch in Deutschland?
    Immer wieder versuchte sie sich etwas von dem vorzustellen, was Marie ihr erzählt hatte. Ihr fiel der Markt ein, der nach Maries Worten jede Woche im benachbarten Sonneberg stattfand. Roch es dort süß wie nach Zuckerwatte? Oder nach Fisch wie unten am Hafen? Und dann die Menschen: Wanda versuchte, sich eine Gruppe von Frauen wie ihre Tante Johanna vorzustellen, die ihre Einkäufe auf dem Markt tätigten. Wie waren sie gekleidet? Kannten sie einander? Lachten sie zusammen? War Eva Heimer auch dabei?
    Wanda schlug die Augen auf. War diese Eva eigentlich ihre Tante oder ihre … Großmutter? Wo sie doch mit Sebastian verheiratet war, aber mit Wilhelm Heimer … Was ihr Vater damals wohl zu dem ganzen Drama gesagt hatte?
    Wie mochte er aussehen? Wanda gelang es nicht, vor ihrem geistigen Auge ein Bild von ihm erstehen zu lassen. Maries Beschreibung war eher vage gewesen, sie konnte beinahe auf jeden Mann passen. Wanda hatte heimlich die ganzen Fotoalben ihrer Mutter durchsucht, aber keine einzige Fotografie von Thomas Heimer gefunden. Auch ein Hochzeitsfoto von Ruth und ihm gab es nicht. Wenn ein solches je existiert hatte, dann hatte Mutter es garantiert vor langer Zeit vernichtet. Spuren verwischen nannte man so etwas, oder? Und nun, da Marie weg war, würde es fast unmöglich werden, mehr über ihre Herkunft zu erfahren. Kein deutsches Brot mehr und keine Geschichten.

    In dieser Nacht konnte Wanda lange nicht einschlafen.
    »Jeder Mensch hat eine Aufgabe im Leben« – wie lästige Quälgeister hämmerten Maries Worte unablässig gegen ihrGehirn. Unter dem Getöse verwandelte sich Wandas Traurigkeit allmählich in eine Art von Trotz. Hah! Es wäre doch gelacht, wenn sie sich unterkriegen ließe, nur weil sie ihre Aufgabe noch nicht gefunden hatte! Immer alles jetzt und sofort – das war ihre bisherige Devise gewesen. »Lufthüpfer« nannte Harold ihre spontanen Ideen und tat dabei immer ein wenig von oben herab. Luft wie leer. Luft wie ohne Inhalt. Luft wie bedeutungslos.
    Es war kurz vor Mitternacht, als sie sich abrupt aufsetzte.
    Vielleicht hatte sie es bisher einfach falsch angefangen. Was war eigentlich so schlecht daran, die Dinge mit etwas mehr Bedacht anzugehen?
    Beschwingt sprang sie aus dem Bett und trat ans Fenster. Die Stirn gegen das kühle Glas gelehnt, schaute sie hinaus in die Nacht.
    Die in Lauscha würden heute vielleicht einen sternenklaren Himmel sehen, aber dafür sah sie Lichter in Aberhunderten von Fenstern. Und das war doch auch etwas, oder?
    Wanda lachte vor sich

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