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Die Amerikanerin

Die Amerikanerin

Titel: Die Amerikanerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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hin.
    Wie hieß es doch so schön? Wenn der Prophet nicht zum Berge kam, dann musste eben der Berg zum Propheten gehen!
    Das war’s!
    Sie konnte vielleicht nicht nach Deutschland reisen – noch nicht. Aber etwas anderes konnte sie tun.

    Am nächsten Morgen, es war noch nicht acht Uhr, drückte Wanda mit zittriger Hand die Klinke eines kleinen Bäckerladens hinunter, der in einer Seitenstraße der zehnten Avenue lag. Marie hatte dort für ihr Picknick auf dem Dach eingekauft und danach geschwärmt: »So ein gutes Schwarzbrot hab ich nicht einmal bei uns zu Hause gegessen! Dass deine Mutter dort nicht Stammkundin ist, kann ich nicht verstehen.«
    Eine kräftige Frau, die damit beschäftigt war, Wagenrädervon Brotlaiben in ein Regal zu hieven, drehte sich zu Wanda um. »Sie wünschen, Frollein?«
    Wanda räusperte sich. Jetzt galt’s! Sie besann sich auf ihr bestes Deutsch.
    »Gibt es hier irgendwo einen Ort, wo Deutsche sich treffen und wo man deutsche Sitten und Bräuche lernen kann?«

2

    Mit einem Schrei schoss Marie in die Höhe.
    »Marie, mia cara, was ist los?« Nur den Bruchteil einer Sekunde später saß auch Franco aufrecht im Bett. Er war sofort hellwach, seine Augen suchten die Hütte ab. Alles in Ordnung. Er entspannte sich wieder.
    »Was ist los?« Sanft rüttelte er an Maries Arm. »Hast du schlecht geträumt?«
    Marie nickte, die Augen weit aufgerissen, eine Hand vor den Mund geschlagen, als habe sie etwas Furchtbares gesehen.
    »Mir ist so schlecht, da ist so ein komisches Gefühl in meinem Bauch …«
    Schweiß stand ihr auf der Stirn.
    Als Franco einen Arm um ihre Schultern legen wollte, fühlte er, dass ihr Nachthemd an ihrem Rücken klebte. »Du bist ja ganz nass!«
    Er zog eine Wolljacke von dem Holzstuhl, der als Nachttisch diente, und legte sie Marie um die Schultern.
    »Danke!« Sie atmete tief durch. »Es geht schon wieder … Du meine Güte, wie kann man nur so einen Blödsinn träumen! Ich war auf der Lichtung hinter dem Sanatorium. Es war gleißend hell, so als ob Sonnenlicht auf eine weiße Fläche trifft. Dann war da dieser Mann … Er hatte einen wallenden Bart und war in ein langes Gewand gekleidet. Aber es war keiner von den Leutenhier oben auf dem Berg«, fügte sie hastig hinzu, als sie Francos Miene sah. Sie zog die Jacke enger um sich.
    Franco langte erneut hinüber zu dem Stuhl, diesmal nach seinen Zigaretten. Während er sich eine anzündete, sprach Marie weiter.
    »Der Mann hat mich zum Tanzen aufgefordert, aber ich wollte nicht. Seine Hand war eiskalt, und ich wollte meine zurückziehen, doch das ließ er nicht zu. Wir haben uns im Kreis gedreht, mir war ganz unwohl dabei. Musik habe ich keine gehört, aber vielleicht kann ich mich auch nur nicht mehr daran erinnern. Außer uns waren noch andere Tanzpaare da, es haben auch Frauen mit Frauen getanzt und Männer mit Männern.«
    »Und ich – wo war ich?« Wieso träumte sie von anderen Männern?
    Sie zuckte mit den Schultern. » Ich muss zu Franco, habe ich zu dem Mann gesagt, doch er sah mich nicht an und tat so, als habe er mich auch nicht gehört. Franco mag es nicht, wenn ich mit anderen tanze, habe ich dann gesagt, aber wieder schien er mich nicht zu hören. Er hielt mich fest umklammert, und wir drehten uns und hörten nicht mehr auf.« Sie schluckte. »Wir tanzten an allen anderen Paaren vorbei. Wir müssen umdrehen, wir kommen zu nahe an den Abgrund!, habe ich ihn angeschrien. Ich habe an seinem Arm gezerrt und mich gewunden wie ein Aal, aber sein Griff war eisern. Plötzlich kam der See immer näher, er war nicht mehr blau, sondern tiefschwarz, wie ein riesiger Schlund, der uns verschlingen wollte … Und dann machten wir den letzten Schritt. Er hat mich angeschaut und gelacht. Wie ein Wahnsinniger gelacht. Und sein Gesicht war so schrecklich …« Marie begann so heftig zu zittern, dass sie nicht weitersprechen konnte.
    »Marie, beruhige dich! Alles ist gut.« Franco wiegte sie in seinen Armen hin und her. »Ich weiß, wie das ist, so einen Traum zu haben: Man fällt und fällt und fällt …«
    »Da ist nichts mehr unter einem, und man kommtnirgendwo an, schrecklich ist das! Und dann auch noch von einem anderen Menschen hinabgerissen zu werden!«
    Einen Moment lang schwiegen sie. Dann seufzte Marie auf.
    »Alois Sawatzky, der Buchhändler, von dem ich dir erzählt habe, hätte seine hellste Freude daran, meinen Traum zu deuten und über seinen tieferen Sinn zu spekulieren.«
    »Dafür brauche ich keine

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