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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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den Kopf.
Er wusste es nicht.
    »Ist er heute da? Kannst du ihn mir zeigen?«
    Er leckte sich nervös die Lippen und war kurz davor, mir zu antworten, doch dann sah er etwas in meinem Rücken. Er drehte sich um, schnappte sich die leere Kiste von der Theke und flitzte mit gesenktem Blick durch die Tür in die italienische Landschaft hinein.
    Ich sah nach, was ihn hatte flüchten lassen.
    Ein Mann mittleren Alters mit einer silbernen Igelfrisur kam mit großen Schritten durch die Menge. Er hatte die Frau neben mir fest im Blick. Er trat hinter sie und flüsterte ihr etwas ins Ohr.
    Erschrocken setzte sie sich mit einem Ruck auf. Dann packte er ihren nackten Arm und riss sie so fest von ihrem Hocker, dass sie ihren Drink verschüttete, der als eine hässliche dunkle Wunde auf ihrem Kleid sichtbar wurde. Missmutig murmelte sie etwas in einer fremden Sprache. Die Musik war zu laut, als dass man sie verstehen konnte. Dann eilte sie los, taumelte durch den Hauptbereich, kämpfte sich durch die Menge und die Treppe hinauf, wo sie auf einem der dunklen Pfade verschwand.
    Ich drehte mich wieder zur Bar zurück, nippte an meinem Scotch und ignorierte den Mann, der noch immer hinter mir stand. Seine ungeteilte Aufmerksamkeit galt jetzt mir.
    »Wir kennen uns noch gar nicht«, sagte er.
    »Da haben Sie recht«, antwortete ich.
    »Lassen Sie uns das ändern.«
    »Ich bin ein Gast von Fadil.«
    Er zögerte, das hatte ihn verblüfft. Er musste der Manager sein. Er trug einen teuren Anzug und einen Ohrhörer und hatte die aufgeblasene Haltung aller kleinen, unsicheren Männer in Machtpositionen. Ich dachte, er würde mich in Ruhe lassen, doch dann legte er die Stirn in Falten, als er die Salzwasserringe an meiner Hose entdeckte.
    »Woher kennen Sie denn Mr Bourdage?«, fragte er.
    »Fragen Sie ihn.«
    »Kommen Sie bitte mit.«
    »Ich möchte erst austrinken.«
    »Kommen Sie mit, oder wir haben ein ernstes Problem.«
    Ich betrachtete ihn mit gelangweilter Verärgerung. »Sicher?«
    »Was meinen Sie?«
    Ich zuckte mit den Schultern, trank in aller Ruhe den restlichen Scotch und stand auf.
    »
Sie
haben es so gewollt«, sagte ich.
    Wenn ihn das auch nur ein bisschen beunruhigte, ließ er es sich nicht anmerken. Er ging steif zu den Stufen hinüber, die zum zentralen Loungebereich hinabführten, und wartete, dass ich ihm folgte.
    Das würde kein gutes Ende nehmen.
Als ich hinter ihm her durch die Menge ging, spürte ich erneut diesen irritierenden Schwindel. Es war, als würde man in eine andere Dimension sinken, als verhakte sich die Realität. Die Illusionsbilder mussten so gemalt worden sein, dass man sie am besten von diesem zentralen Punkt aus betrachtete, denn sie wurden jetzt alle noch schärfer. Küstenstädte brummten vor Leben. Sonnenblumenfelder wogten im Wind, ein Schwarm Krähen hing darüber in der Luft – und doch konnten sie nicht davonfliegen. Bromelien erzitterten, als ein dunkles Tier an ihnen vorbeistrich. Eine Schlange wand sich auf einer Mauer. Selbst die pulsierende Musik schien jetzt auf mich ausgerichtet zu sein. Ich konnte sogar spüren, wie die Sonne mir in den Nacken schien. Wir drängten uns durch die Menge, an den Anzügen und Krawatten vorbei, den Mädchen,
Jungs
in diesen Kleidern, die von hier aus gesehen nicht aus Stoff zu bestehen schienen, sondern aus Fischschuppen. Trotz der Musik konnte ich einzelne Gesprächsfetzen aufschnappen:
hier sein, manchmal, sehe ich auch so, Wasserski.
    Ich musste die Ruhe bewahren und den Abgang machen – und zwar schnell.
Wir schienen auf einen dieser dunklen Gänge zuzusteuern. Um nichts in der Welt würde ich mitgehen, um mir die Beine brechen zu lassen, oder noch Schlimmeres.
    Ich suchte den Rand des Atriums nach der Tür ab, die zurück in den Lagerraum führte, doch sie war in den schimmernden Szenen um mich herum nicht zu erkennen.
    Der Manager stand ein paar Schritte vor mir und wartete mit finsterer Miene, dass ich zu ihm aufschloss. Doch plötzlich tippte ihm ein großer blonder Mann auf die Schulter, begrüßte ihn und gab ihm die Hand.
    Ich wartete ein paar Sekunden.
Das war meine Chance.
    Der Mann stellte einen Freund vor, der neben ihm stand. Der Manager drehte sich zu ihm um, und ich machte hastig kehrt, stolperte durch eine größere Gruppe von Gästen und rammte versehentlich einen Kellner von hinten. Ein Cocktail fiel ihm aus der Hand und explodierte auf dem Boden.
    Ich ging schneller, den Blick hielt ich auf den Boden gerichtet. Die Frauen trugen

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