Die amerikanische Nacht
kann ihn nicht finden.«
Ich sah den leeren Vogelkäfig auf dem Boden stehen.
»Wo ist verdammt nochmal mein Laptop?«,
brüllte ich.
»Alles gestohlen. Hier war noch jemand. Ich habe gehört, wie er aus dem Fenster geklettert ist, aber habe ihn nicht gesehen.« Sie ging zum Wandschrank, dessen Holztür aus der Laufleiste gerutscht war.
Ich kletterte durch das Durcheinander zum Fenster und knallte es wütend zu. Meine Aktenschränke standen offen, die Unterlagen waren geplündert. Meine alten gerahmten
Times
-Artikel hatten sie von der Wand gerissen. Das »Le Samouraï«-Poster hing schief, so dass Alain Delon – der sonst so cool unter seinem Hut auf etwas jenseits des Zimmers hervorblickte – jetzt den Boden betrachtete.
War das eine Art kryptische Nachricht? Ein Wink, dass ich kurzsichtig war und nicht geradeaus gucken konnte?
Ich hängte den Rahmen gerade, hob die Lederkissen auf und warf sie auf das Sofa. Ich packte eines der umgefallenen Regale und stemmte es an seinen Platz. Dabei trat ich auf einen Bilderrahmen, der verkehrt herum auf dem Boden lag. Ich hob ihn auf und sah mit Entsetzen, dass es meine Lieblingsaufnahme von Sam war. Sie war darauf erst wenige Stunden alt. Das Glas war zerschmettert. Ich zog die Scherben heraus und stellte das Bild auf meinen Schreibtisch. Dann ging ich zu dem umgeworfenen Karton mit meinen Cordova-Unterlagen.
Ich musste fast lachen.
Er war leer – bis auf den
Das ist Yumi
-Flyer, den ich in der 83 Henry Street eingesteckt hatte. Das halbnackte Mädchen sah mich herausfordernd an, als wollte sie sagen,
Überrascht dich das wirklich so sehr
?
Ich konnte meine Dummheit nicht fassen. Ich hatte gewusst, dass man uns verfolgte, und trotzdem hatte ich leichtsinniger Trottel auf Vorsichtsmaßnahmen verzichtet. Das kam mir jetzt besonders idiotisch vor, wenn ich daran dachte, dass bei meiner letzten Recherche zu Cordova mein Leben zusammengebrochen war wie das billige Bühnenbild eines Varietétheaters. Jetzt waren meine Aufzeichnungen in den Händen der Person, zu der ich recherchierte. Cordova würde jede meiner Notizen lesen, jede Ideensammlung und jede Kritzelei.
Er würde meinen Kopf durchstöbern wie ein Kaufhaus.
Mein Laptop war mit einem Passwort geschützt, aber darüber konnte sich jeder vernünftige Hacker hinwegsetzen. Jetzt wusste Cordova alles, was wir über Ashleys letzte Tage wussten.
Welchen Vorsprung wir auch gehabt haben mochten, nachdem wir uns ins
Oubliette
geschmuggelt, im Waldorf und in Briarwood gewesen waren, und dadurch, dass wir von Ashleys Suche nach diesem Menschen namens Spinne wussten – er war jetzt dahin.
Ich hob meine Stereoanlage auf und stellte den Receiver zurück auf das Regal. Fassungslos sah ich, dass auch Ashleys CD verschwunden war. Dadurch kam mir ein weiterer beängstigender Gedanke.
»Wo ist Ashleys Polizeiakte?«
Nora wühlte immer noch im Wandschrank herum.
»Die Akte über Ashley, die ich
illegalerweise
von Sharon Falcone bekommen habe – die du vorgestern gelesen hast. Wo ist die?«
Sie sah mich verstört an.
»Ich weiß es nicht.«
Sie fing an zu weinen, also durchforstete ich die Trümmer selbst. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, welche Auswirkungen es haben würde, wenn diese Akte an die Öffentlichkeit kommen sollte: Sharon würde ihren Job verlieren; ihre Karriere würde durch meine Dummheit ein schändliches Ende nehmen; mein Name würde schon wieder in den Dreck gezogen werden. Der Gedanke machte mich so wütend, dass ich erst nach einer Weile Hoppers Rufen bemerkte.
Wir fanden ihn in der Küche. Er stand neben der geöffneten Backofentür.
Der Wellensittich war im Ofen und flatterte hektisch um den Ventilator herum.
Nora eilte herbei und fing den Vogel vorsichtig ein. Er lebte, aber zitterte stark.
»War der Ofen an?«, fragte sie Hopper.
»Nein.«
Während sie sich um den Vogel kümmerte, sah mich Hopper bedeutsam an.
Er dachte dasselbe wie ich. Das war kein Akt der Gnade gewesen. Es war eine Drohung. Den Vogel am Leben zu lassen war eine eindeutige Botschaft: Sie hatten das Sagen. Sie wollten mit dem Vogel spielen und dem zerbrechlichen Ding noch ein bisschen Angst einjagen. Aber wenn sie gewollt hätten, hätten sie ihn töten können.
Und dasselbe galt für uns.
76
Die nächsten paar Stunden waren wir damit beschäftigt, mein Büro aufzuräumen, während ein Schlüsseldienst das Schloss an meiner Wohnungstür reparierte. Sie hatten alle Unterlagen zu Ashley und Cordova mitgenommen, bis
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