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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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knabberte besorgt an ihren Fingernägeln. »Wenn wir uns jemals Zugang zu The Peak verschaffen könnten, würden wir bestimmt genau das vorfinden.«
    Ich wusste, woran sie gerade dachte; irgendwie hatten sich Cleos Worte in meinem Kopf eingegraben, als sie die schmutzige Realität der schwarzen Magie beschrieb.
Alte ledergebundene Bücher voller rückwärts aufgeschriebener Zaubersprüche. Dachböden, auf denen richtig düstere Zutaten gehortet werden, Hirschföten, Eidechsenfäkalien, Babyblut. Das ist nichts für schwache Mägen. Aber es funktioniert.
    Der Portier hatte ein Taxi gefunden, also verließen wir den Schutz der Markise und drängten uns auf den Rücksitz. Mein Handy zeigte mir einen verpassten Anruf von Blumenstein und zwei von Hopper an. Hopper hatte außerdem eine SMS geschickt.
    Bin auf Kaution raus. 1000 Dank. Fahre zu deiner Whg.
    Gut. Ich konnte es kaum erwarten, ihn zu fragen, was er in dem Stadthaus gesehen hatte – ganz zu schweigen von der Frage,
wie zur Hölle er wusste, wie man dort einbrechen kann
.

74
    Als Nora und ich bei meiner Wohnung angekommen waren, blieb sie erschrocken stehen, griff nach meinem Arm und zeigte auf das Schloss meiner Wohnungstür.
    Es war zertrümmert, das Holz um das Schloss zersplittert.
    Langsam drückte ich die Tür auf. Innen war es dunkel. Es war nichts zu hören außer dem Hämmern des Regens.
    Ich betrat den Flur.
    »Nicht«, flüsterte Nora. »Es könnte noch jemand da sein …«
    Ich legte einen Finger an die Lippen und schlich weiter in den Flur. Der Boden knarrte bei jedem meiner Schritte. Plötzlich hörte ich ein dumpfes Geräusch aus dem Wohnzimmer.
    Ich rannte zur Tür und konnte gerade noch sehen, wie ein Mann aus dem Fenster kletterte. Der heftige Regen trommelte auf seinen dunklen Mantel und seine Strickmütze ein, als er über den Blumenkasten kletterte und
sprang
 – er war nicht mehr zu sehen.
    Ich preschte an Nora vorbei durch das Treppenhaus nach unten. Ich konnte den Einbrecher am Gebäude vorbeirasen sehen, in westlicher Richtung die Perry Street entlang.
    Ich rannte aus dem Haus hinter ihm her. Er war bereits auf halber Höhe des Häuserblocks angekommen und stürmte an einem Fußgänger vorbei – das war
Hopper
.
    »Schnapp dir den Kerl!«, brüllte ich.
    Als er mich auf ihn zurasen sah, machte Hopper kehrt und rannte hinter dem Mann her, der gerade in die West Fourth abgebogen war.
    Der Einbrecher war kleiner als Theo. Es musste jemand anderes sein.
    Hopper bog um die Ecke. Als ich die Kreuzung Sekunden später erreichte, verfolgte er den Mann bereits um die nächste Ecke in die Charles Street. Ich lief hinterher, wich Autos aus, angeschlossenen Fahrrädern und Menschen mit Einkaufstüten. Der Einbrecher erwischte eine grüne Ampel über die Hudson Street. Hopper hetzte schreiend hinterher, doch das Dröhnen des Donners übertönte seine Worte. In weniger als einer Minute war ich am West Side Highway, wo es eine Massenkarambolage gegeben hatte. Hopper preschte hinter dem Mann über den Mittelstreifen her und erreichte die andere Seite, doch ich musste warten, weil die Ampel für die Autos wieder auf Grün gesprungen war.
    Der Mann flüchtete in nördliche Richtung auf dem Fahrradweg am Hudson River Park, vorbei an einigen Polizeiabsperrungen. Plötzlich bog er links ab, in Richtung Pier  46 . Dann war er verschwunden.
    Die Ampel schaltete auf Gelb, und ich nutzte eine Lücke im Verkehr, um auf die andere Seite zu laufen, wo ich Hopper auf dem Radweg einholte.
    »Ich hab’ ihn verloren«, stieß er keuchend hervor.
    Ich schirmte meine Augen gegen den Regen ab und blickte den Weg entlang. Abgesehen von einem Paar mit einem Deutschen Schäferhund war er menschenleer. Doch auf dem Pier, einem beliebten Ausflugsort, war viel los. Dreißig oder vierzig Menschen spazierten mit Regenjacken und Schirmen bewaffnet über die Promenade.
    »Er ist auf dem Pier«, sagte ich. »Ich sehe auf dieser Seite nach. Such du auf der anderen Seite.« Ich lief los, vorbei an einer Touristenfamilie in Plastikponchos, einem jungen Mann, der einen Jack Russell Terrier ausführte, und zwei kichernden Teenagern, die sich unter einem braunen Mantel zusammenkauerten.
    Von dem Mann keine Spur.
    Ich kam an einer Gruppe von Joggern in Regenkleidung vorbei, die sich am Geländer dehnten, und sah am Ende des Piers einen einzelnen Mann.
    Er saß mit dem Rücken zu mir auf einer Bank und starrte auf den Hudson River hinaus. Er saß in einem khakifarbenen Mantel unter

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