Die amerikanische Nacht
Traum gewesen.«
Er schnappte wieder nach Luft und stellte auch den anderen Fuß auf die obere Sprosse des Hockers. Dann legte er die Arme in den Schoß und beugte sich vor, als wolle er sich selbst zusammenfalten.
»Die Verwandlung, die dann einsetzte …«
Ihm versagte die Stimme, offenbar fiel es ihm schwer zu glauben, was er sagte.
»Vorher hatte ich nie daran geglaubt. Natürlich nicht. Aber jetzt ging es nicht mehr anders. Es gab keine andere Erklärung. Stanislas war am Boden zerstört. Aber er hatte keine Ahnung, dass ich mit dem Ganzen zu tun hatte. Ashley hat es ihm aus irgendeinem Grund nicht gesagt. Doch wenn ich zufällig einmal im selben Raum mit ihr war, merkte ich, wie das kleine Mädchen mich beobachtete. Ich wusste, dass sie an diese Nacht dachte und an das, was ich ihr angetan hatte. Aber Stanislas, der von nichts wusste, wollte unbedingt, dass ich bleibe. Jetzt brauchte er mich, weil er sich an Gott klammerte. Gott, der langweilige Verwandte, den niemand beachtet – den nie jemand anruft, dem nie jemand schreibt –, bis man einen wirklich großen Gefallen benötigt.«
Er lächelte.
»Ich machte mich unverzichtbar. Die nächsten zehn Jahre lebte ich mit der Familie zusammen. Ich gab mein Leben für ihn hin. Ich unterrichtete Stanislas in katholischer Theologie. Ich half ihm beim Lernen und beim Beten, beim Beten für die eigene Seele, aber vor allem für Ashleys, die langsam aber unaufhaltsam ins Dunkle abrutschte. Ich schlug einen Exorzisten vor. Aber eigentlich war das ja kein Fall von Besessenheit. Nein. Es war eine
Verheißung
. Eine Abmachung. Bei meinen Nachforschungen zu historischen Pakten mit dem Teufel stieß ich auf eine mögliche Lösung. Dafür musste Stanislas ein anderes Kind finden, das für Ashley einstehen würde. Ein glatter Tausch. Eine reine Seele für eine andere. Das hätte Ashley befreien können. Und ich las, dass bei dieser Aktion, einer einfachen Übertragung der Schuld, nicht einmal das andere Kind zu Schaden kommen musste. Man brauchte bloß ein Kleidungsstück oder einen Gegenstand, der diesem neuen Kind ganz allein gehört hatte. Ich erzählte Cordova eher beiläufig von der Idee. Ich dachte nicht, dass er so etwas probieren würde. Cordova liebte Kinder, bei allen Fehlern, die er hatte. Aber er fing an, The Peak mitten in der Nacht zu verlassen. Er ließ sich von seinem Chauffeur zu verschiedenen Schulen in der Umgebung fahren und suchte dann die Spielplätze und Sportanlagen und die Treppenhäuser nach Dingen ab, die irgendein kleines Kind verloren hatte. Wenn er mit seiner Beute zurückkam, den kleinen T-Shirts und Schuhen, Spielzeugsoldaten und Teddybären, packte er alles in eine Tüte und ging hinunter zur Kreuzung. Und da versuchte er dann, den Austausch durchzuführen, jede Nacht aufs Neue, Woche für Woche. Ich war der Einzige, der davon wusste. Aber es funktionierte nicht. Nichts funktionierte.«
Ich war sprachlos. Das war exakt das, was der anonyme Anrufer, John, mir vor Jahren beschrieben hatte.
Es war doch wahr gewesen.
Man hatte mir keine Falle gestellt. Der Mann hatte mir die Wahrheit erzählt.
Die Erkenntnis, dass ich nicht getäuscht worden war, ließ mich vor Freude schwindlig werden.
Er stellt irgendwas mit den Kindern an
, hatte John behauptet. Und es stimmte. Der Grund, warum Cordova mitten in der Nacht zu diesen Schulen fuhr, war, dass er die Kinder benutzen wollte, sie eintauschen wollte. Er versuchte, Ashleys Seele zu retten, indem er ihre der Verdammnis preisgab.
»Das lag daran, dass er niemanden fand, der Ashley ebenbürtig war«, fuhr Villarde fort. »Dem Teufel war ein so perfektes Kind versprochen worden, von einer solchen Intelligenz, Tiefgründigkeit und Schönheit, dass es unmöglich war, einen Ersatz für sie zu finden. Das war, als suchte man ein Double für einen Erzengel. Aber Stanislas gab nicht auf. Er scheiterte, aber versuchte es immer wieder. Er hätte alles getan, um sie zu retten. Egal, welche Schuld und welchen Schrecken er dafür auf sich nehmen musste. Er wusste, dass die Erlösung für ihn bereits unerreichbar war. Aber nicht für
sie
.«
Villarde schluckte und senkte den Kopf. Sein Atem ging flach. »Ein paar Monate nachdem ich den Tausch vorgeschlagen hatte, wachte ich nachts mit unerträglichen Schmerzen auf. Mein Bett stand in Flammen. Ich stand in Flammen. Genau wie mein Priestergewand im Schrank und die Vorhänge vor den Fenstern. Sie brannten lichterloh, krümmten sich, als wären sie lebendig. Ich
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