Die amerikanische Nacht
gegenüber von ihr. »Aber ich habe es vorher schon einmal gesehen. Ein Kind, dem ich vor kurzem begegnet bin, hatte es.«
Sie betrachtete die Figur von allen Seiten, schüttelte sie und lauschte, was darin sein könnte.
In dem hellen roten Licht der Deckenlampe erkannte ich, dass das Holz sehr aufwendig geschnitzt war, jede Schuppe, jede Flosse, jeder Zahn war poliert und angespitzt. Das anzügliche Grinsen der Kreatur wirkte lüstern, die Lippen hatte die Schlange nach hinten gezogen, die Zunge herausgestreckt.
»Könnte man es verwenden, um jemanden zu markieren?«, fragte ich. »Jemandem irgendein, keine Ahnung, Teufelsmal zu verpassen? Habe Sie mal von
Huella del Mal
gehört? Dem Abdruck des Bösen?«
Cleo schien mich nicht zu hören. Sie stellte die Schlange in die Mitte des Tisches. Dann beugte sie sich vor und packte sie mit höchster Konzentration am Schwanzende – das sich um den Körper herum wand – und schob die Figur langsam gegen den Uhrzeigersinn im Kreis. Das tat sie dreimal. Das misstönende Schaben der Figur auf dem Holztisch war das einzige Geräusch im Raum.
Plötzlich riss sie ihre Hand weg, als habe sie sich verbrüht. Die Schlange fiel um.
»Was ist?«, fragte ich sofort.
Sie wirkte verdutzt. »Haben Sie das nicht gesehen?«
»Nein. Was denn?«
Cleo atmete tief durch und packte erneut das Schwanzende der Schlange.
»Achten Sie auf den Schatten«, flüsterte sie.
Ich war so voller Adrenalin, dass ich mich kaum auf die Bewegung konzentrieren konnte.
Und dann sah ich, was sie meinte.
Der Schatten – der ganz eindeutig schwarz auf dem Tisch zu sehen war – folgte nicht auf natürliche Weise dem Gegenstand. Vielmehr verharrte er, als habe er sich in etwas Unsichtbarem verhakt, er zitterte vor Spannung, die Zunge des Schattens wurde länger,
ging weit über die Figur selbst hinaus
, um dann an seinen Platz zurückzuschnappen und sich wieder ganz normal zu bewegen. Ich blinzelte verblüfft und beugte mich vor. Ich war sicher, dass es eine optische Täuschung war, dass meine Augen mir einen Streich gespielt hatten. Doch Sekunden später geschah es wieder.
Und wieder.
Sie änderte die Richtung und drehte die Figur im Uhrzeigersinn. Jetzt verhielt sich der Schatten wie gewöhnlich.
»Wie ist das möglich?«, fragte ich.
»Ich weiß es nicht.« Sie stellte die Figur ab. »Ich habe Ihnen ja gesagt, dass ich mich mit schwarzer Magie nicht auskenne. Ich habe so was noch nie gesehen.«
»Aber Sie haben was darüber gelesen. In Ihrer jahrelangen Hexenausbildung.«
Sie sah mich an. »Ich kann Ihnen nicht helfen. Sie müssen einen echten Fachmann für schwarze Magie fragen.«
»Ich kenne aber keinen echten Fachmann für schwarze Magie. Ich kenne nur
Sie
, also werden
Sie
der Sache auf den Grund gehen, auch wenn wir zwei Wochen lang hier sitzen, um dahinterzukommen.«
Ich sprang auf. Der Klappstuhl fiel mit einem lauten Krachen um, während ich in den hinteren Teil des Raumes lief. Die Ablagefläche des Schrankes war unaufgeräumt, da lagen abgebrannte Kerzen und Aschenbecher, Zettel, auf die Rezepte und Zaubersprüche gekritzelt waren, abgegriffene Notizhefte, Plastikbeutel mit Pulvern, auf denen JA und NEIN stand, und Einmachgläser voll schwarzer Asche. Die Regale waren bis zur Decke mit modrigen Büchern vollgestopft.
Die Heilige Magie des Abramelin. Liber 777 und andere kabbalistische Schriften
von Aleister Crowley.
Cleo stand auf einmal neben mir. »Beruhigen Sie sich.«
Der Böse Blick. Das Buch Tobit. Die wichtigsten Schriften des Nostradamus.
Ich zog die
Enzyklopädie wichtiger Zaubersprüche des 19 . Jahrhunderts
aus dem obersten Regal, so dass einige schwarze Taschenbücher auf den Boden fielen. Auf dem Einband war ein rotes Pentagramm abgedruckt.
»Sie machen es nur noch schlimmer«, sagte Cleo. »Ein labiler Kopf mit starker schwarzer Magie ist wie eine Lunte an angereichertem Uran.«
Ich schlug die Enzyklopädie auf und überflog das Inhaltsverzeichnis.
»Es gibt vielleicht noch eine andere Möglichkeit«, sagte Cleo. »Aber die hat wenig Aussicht auf Erfolg.«
Ich sah sie an. »Worauf zur Hölle warten Sie?«
Sie warf einen genervten Blick auf ihre Uhr, seufzte, und ging in die entgegengesetzte Ecke des Raumes, wo ein kleines Waschbecken war, darunter Stapel von Notizbüchern und an der Wand eine mit Zetteln behängte Pinnwand. Sie suchte hinter der obersten Schicht Zettel nach etwas, durchstöberte von Hand gezeichnete Karten vom
Land der Hexen,
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