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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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»›Der Leviathan ist eine vorzeitliche Seeschlange und einer der Fürsten der Hölle‹«, las sie. »›Dante bezeichnete diese Kreatur als Verkörperung des absolut Bösen. Thomas von Aquin beschrieb ihn als eine der sieben Todsünden,
Neid
 – das monströse Verlangen nach etwas, das man nicht hat. Im Nahen Osten steht der Leviathan für das Chaos. Im Satanismus ist er ein Dämon aus der Hölle, der von Hexen und Hexenmeistern heraufbeschworen und zur Zerstörung der natürlichen Welt eingesetzt werden kann.‹«
    Sie hielt inne und hörte zu.
    »Ich frage ihn.« Sie sah mich an. »Wie viele Kinder haben Sie damit gesehen?«
    »Zwei.«
    »Gab es irgendeine Verbindung zwischen den beiden? Sind sie zur selben Schule gegangen, hatten sie dasselbe Hobby oder waren sie entfernt miteinander verwandt? So was in der Art?«
    Ich konnte nicht antworten. In meinem Kopf drehte sich alles, denn ich hatte mich gerade an die Szene vor Morgan Devolds Haus erinnert, als seine Tochter in diesem mit Kirschen bedruckten Nachthemd hinter mir her die Zufahrt hinuntergetapst war. Sie hatte etwas in der Faust gehalten, etwas Kleines und Schwarzes.
Das war diese Figur gewesen.
    »Moment«, sagte ich. »Es waren drei. Drei Kinder.«
    »Hatten sie etwas gemeinsam?«
    Ich rieb mir die Augen und versuchte mich zu beruhigen, zu
denken
.
    »Sie waren zwischen vier und sechs Jahre alt. Sie hatten Kontakt mit derselben Frau. Mit der, die diesen Todesfluch an unseren Schuhen ausgelegt hat. Ashley.« Als ich dies sagte, hatte ich eigentlich nur Devolds Tochter und den tauben Jungen in der Henry Street im Kopf. Aber dann wurde mir die Bedeutung dessen klar, was ich da gesagt hatte:
Das hieß, dass Sam und Ashley sich begegnet waren.
    Aber das war unmöglich.
    Cynthia erlaubte Sam nie, mit Fremden zu sprechen. Und doch hatte Ashley mich am Reservoir See gefunden. Der Gedanke war nicht so abwegig, dass sie auch meine Tochter gefunden hatte.
    »Wie haben sie sich verhalten?«, fragte Cleo. »Irgendwie seltsam? Haben sie geflüstert? Irgendein Zucken? Sahen sie aus wie in Trance? Haben sie von Tod und Gewalt gesprochen?«
    Ich konnte ihr nicht antworten. Der Schock über das, was ich unwissentlich getan hatte, gab mir das Gefühl, dass der Raum um mich herum einstürzte.
    Ich hatte die Cordovas direkt zu Sam geführt.
    Das ist ein Bandwurm, der seinen eigenen Schwanz gefressen hat. Es gibt kein Ende. Er wird sich bloß um dein Herz schlingen und das Blut herauspressen.
    »Hallo?«, erinnerte mich Cleo.
    Wieso zur Hölle hatte ich nicht die Finger davon gelassen, als ich die Möglichkeit dazu hatte?
    »Entschuldigung, aber wir haben hier eine echte schwarze Hexe an der Strippe«, zischte Cleo mich mit der Hand über dem Hörer an. »Wir haben sie beim Ausweiden einer Dreiecksnatter gestört, die sie für einen Unruhezauber einsetzen will. An Ihrer Stelle würde ich mich mal konzentrieren.
Wie haben sich die Kinder verhalten

    »Meine Tochter habe ich nicht damit gesehen. Meine Ex-Frau hat es in ihrer Manteltasche gefunden. Aber sie wirkte ganz normal.«
    »Was ist mit den anderen?«
    »Eines der Kinder war taub. Er war aufgelöst, als es ihm hingefallen ist. Er stand kurz vor einem Wutanfall, aber beruhigte sich, als ich es ihm zurückgab.«
    »Unbändige Prägung«, flüsterte Cleo eilig in den Hörer, dann sah sie mich an. »Und das dritte?«
    Devolds Tochter.
    »Ich war nicht bei ihr«, sagte ich.
    »Sie haben nichts Ungewöhnliches gesehen?«
    Ich dachte an den Abend zurück, an den dunklen Hof mit den vergessenen Spielsachen, die zitternden Bäume, den Hund, den man in der Ferne bellen hörte, das Schreien des Babys.
    »Ihre Lieblingspuppe wurde halb zerfallen in einem Kinderpool gefunden«, platzte ich heraus.
    Cleo war alarmiert. »Eine
Baby
puppe?«
    »Sie war seit Wochen verschwunden. Sie hatten überall danach gesucht.«
    »Und?«
    »Ihr Vater hat sie aus dem Wasser gezogen und seiner Tochter zurückgegeben, obwohl das Teil dämonisch aussah. Die Augen fehlten und das Haar fiel büschelweise aus.«
    Cleo gab mir ein Zeichen weiterzureden. »Was ist passiert, als er sie ihr zurückgab?«
    »Sie war aufgebracht. Sie weinte. Aber später folgte sie mir die Zufahrt hinunter, mit der Puppe im Arm, und wollte
mir
die Figur geben.«
    »Eindeutige Beweise für Puppenmagie«, meldete Cleo aufgeregt in den Hörer und gab weiter, was ich gerade erzählt hatte. Dann hörte sie wieder zu.
    »Gut. Ich versuch’s.«
    Sie stand auf und eilte in den

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