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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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Pennsylvania
, eine Broschüre des
Vereins für Kristallkunde
, eine Zeitleiste von Johann dem Eroberer, Fotos von
Enchantments
-Angestellten und den
Moralkodex für die Anwendung von Magie
. Sie sah sich einen kleinen Zettel an, der unter einer Postkarte mit dem Gesicht eines dämonisch aussehenden Mannes steckte, nahm ihn ab und griff zum schnurlosen Telefon, das auf der Theke lag.
    Ich trat neben sie.
    Es war eine ausgeblichene Kleinanzeige, die man rot ummalt und aus einer Zeitung ausgerissen hatte. Die Anzeige bestand einzig aus dem Satz NUR FÜR DIE DÜSTERSTEN SITUATIONEN und einer Telefonnummer mit einer Vorwahl aus Louisiana.
    »
Das
ist Ihr Experte? Soll das ein Witz sein?«
    »Ich sagte ja, es besteht wenig Aussicht auf Erfolg«, blaffte Cleo mich an und wählte die Nummer.
    Ich nahm das Stück Papier. Auf der Rückseite war die Hälfte einer Schlagzeile zu lesen, FLUT UNTERBRICHT , und darüber stand THE LAFOURCHE GAZETTE , 8 . November 1983 .
    »Geht keiner ran«, sagte Cleo.
    »Versuchen Sie’s noch mal.«
    Seufzend drückte sie auf Wahlwiederholung.
    Nach drei weiteren Versuchen schüttelte sie den Kopf.
    »Tut mir leid. Ich weiß nicht mal, was das für eine Nummer ist. Der Zettel hängt schon immer da. Keiner weiß, wo er herkommt. Kommen Sie morgen wieder, dann versuchen wir …«
    Ich schnappte mir das Telefon, drückte Wahlwiederholung und lief nervös im Zimmer auf und ab, mein Herz pochte mit jedem Klingeln stärker.
    Ich konnte nicht einfach so aufgeben, nicht, wenn meine Tochter von irgendeiner dunklen Hölle bedroht war, der ich sie unwissentlich ausgesetzt hatte.
Als ich dies still wiederholte, wurde mir schmerzhaft bewusst, dass Cordova genau dasselbe vor sich hergesagt haben musste, nachdem er Ashley über die Teufelsbrücke hatte laufen sehen.
    Die Geschichte, hinter der ich her war, wurde langsam zu meiner eigenen.
    Plötzlich klingelte es nicht mehr. Die Leitung knackte.
    Einen Augenblick lang dachte ich, sie sei tot, doch dann hörte ich ein schwaches Pfeifen.
    »Hallo?«, flüsterte ich. Die Verbindung rauschte stark. »Ist da jemand?«
    »Wer ist da?«
    Das Keuchen klang prähistorisch. Ob es ein Mann war, eine Frau oder ein Urzeitwesen – ich konnte es nicht sagen.
    Cleo runzelte die Stirn und nahm mir das Telefon ab.
    »Hallo?«
    Sie räusperte sich und riss überrascht die Augen auf.
    »Ja. Hier spricht Cleopatra von
Enchantments
in New York City. Ich hoffe, wir rufen nicht zu spät an. Aber wir befinden uns in der düstersten Situation.«
    Sie verstummte, offenbar weil sie von der Stimme am anderen Ende der Leitung zurechtgewiesen wurde, aber dann lächelte sie mich erleichtert an und ging zurück zum Tisch.
    Ich folgte ihr, stellte den Klappstuhl wieder auf und setzte mich ihr gegenüber.
    »Ich verstehe. Ja,
Ma’am
. Vielen Dank. Wenn Sie nach dem Herd gucken wollen, warte ich solange.« Cleo hielt inne, atmete tief durch und starrte die schwarze Figur an. Nach einer Minute fing sie an, in ihrer ausdruckslos-klinischen Stimmlage knapp die Situation zu schildern.
    »Und der Inversschatten macht, was er will«, fügte sie hinzu.
    Sie verstummte und hörte mit ernstem Gesicht zu.
    Nach ungefähr zehn Minuten legte sie die Hand über den Hörer.
    »Gehen Sie zum Bücherregal«, flüsterte sie. »Suchen Sie nach einem Buch mit dem Titel
Symbole der Schwarzen Alchemie – Tiere und Mineralien
. Das müsste im oberen Regal stehen.« Sie hörte wieder zu. »Grüner Einband.«
    Ich hastete zur hinteren Wand.
    Ich brauchte nur eine Minute, um es zu finden, ein dickes gebundenes Buch von C. T. Jaybird Fellows. Ich zog es aus dem Regal und ging damit zum Tisch zurück.
    »Wir müssen erst das Tier identifizieren, damit sie uns helfen kann«, flüsterte Cleo.
    Ich schlug das Buch auf und überflog die muffigen Seiten. Die Tierzeichnungen waren verblasst, genau wie die altmodische Schrift.
    Drache. Herz. Leber. Hirsch.
    »Ich verstehe.« Cleo musterte die Figur angestrengt. »Flossen, und ein Schwanz mit einem kleinen Saugnapf am Ende. Wie etwas zwischen Schlange und Fisch.«
    Schwein. Ziege. Tiger. Wurm.
    »Schlagen Sie Leviathan nach«, flüsterte mir Cleo aufgeregt zu.
    Eule. Säule. Pinie. Leviathan.
    Das farbige Bild eines Leviathans war fast identisch mit der Figur. Es hatte denselben lüsternen Gesichtsausdruck, dieselbe ausgestreckte Zunge.
    »Das ist es«, verkündete Cleo froh, zog das Buch zu sich und sah sich den Eintrag an. »Soll ich vorlesen?« Sie räusperte sich.

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