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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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Kopf.
    Plötzlich überkam mich die Sorge, dass Nora und Hopper auf dieselbe Weise verschwunden sein könnten wie alle anderen. Also versuchte ich, die beiden anzurufen, und sprach ihnen mit der Bitte um Rückruf auf Band. Dann rief ich Cynthia an, weil ich das Bedürfnis hatte, Sams Stimme zu hören. Ich sorgte mich plötzlich irrationalerweise, dass auch sie nicht mehr da war. Ich erreichte nur die Mailbox. Ich hinterließ eine kurze Nachricht, zog den Mantel über und verließ meine Wohnung.

106
    Im schwindenden Tageslicht sah Morgan Devolds Auffahrt so anders aus als in der Nacht, in der wir drei hier hinaufgefahren waren, dass ich sie kaum wiedererkannte. Ich hielt am Straßenrand, stellte den Motor ab und stieg aus.
    Sofort fiel mir der Geruch auf:
Rauch
.
    Ich ging die Auffahrt hinauf. Einige vorstehende Äste waren abgeknickt und geborsten –
als wäre ein großer Lastwagen die Auffahrt hochgefahren.
Der Geruch nach Verkohltem wurde stärker, und als ich auf der Kuppe ankam, blieb ich stehen und starrte über den Rasen vor mir.
    Morgan Devolds marodes Haus war komplett abgebrannt.
    Ich ging darauf zu, schwindlig vor Schock. Beide Autos waren weg. Was blieb, war nur eine verkohlte Klimaanlage und die Hälfte einer kaputten Schaukel.
    Ich vermutete, dass der Brand bereits eine Woche her war, vielleicht auch länger, und dass es kein Unfall gewesen war. Ich kletterte durch die Reste des Hauses und suchte nach Beweisstücken, doch die einzigen erkennbaren Gegenstände, die ich fand, waren eine verkohlte Badewanne aus Keramik, der verbrannte Sockel eines Fernsehsessels und der Plastikarm einer Puppe, der unter den Trümmern hervorragte. Ich fragte mich, ob der Arm zu Baby gehörte, der Puppe, die Morgan aus dem Planschbecken gefischt hatte. Sofort lief ich über den verwilderten Rasen in die hintere Ecke des Hofes.
    Ich entdeckte das Becken genau dort, wo es gestanden hatte. Es war immer noch teilweise aufgeblasen, aber lag auf dem Kopf. Ich drehte es um und sah, neben einigen vertrockneten Blättern, einen großen schwarzen Fleck am Boden.
    Hier musste Ashley die Puppe versteckt haben, damit der Zauber in der Leviathan-Figur funktionierte. Der Anblick war auf seltsame Weise überwältigend – als sei diese schwarze Stelle die letzte Bestätigung dafür, dass wir die Wahrheit über ihr Leben und ihren Tod herausgefunden hatten.
    Wer hatte das Haus abgefackelt?
Waren Morgan und seine Familie zu Hause, als es passierte, oder längst weg, wie alle anderen Zeugen, die Ashley getroffen hatte?
    Ich verbrachte eine halbe Stunde damit, in den Trümmern nach Antworten zu suchen. Ich konnte die Endgültigkeit des Ganzen nicht fassen und war zugleich wütend darüber. Es fühlte sich an, als sei nicht nur Devolds Haus verkohlt und verwüstet worden, sondern die gesamte Recherche. Denn alles war verschwunden, zertrümmert, und ich, der letzte Mann, war zu spät gekommen, ich durchkämmte die Reste und buddelte nach einer tieferen Wahrheit, die es nicht mehr gab.
    Auf dem Weg zurück zum Auto entdeckte ich im hohen Gras etwas Kleines, Weißes.
    Es war ein Zigarettenstummel.
    Es waren insgesamt vier. Ich hob einen auf und sah den fremden Markennamen, der in winziger Schrift auf den Filter gedruckt war. Hastig sammelte ich alle vier Stummel ein und rannte mit brummendem Schädel die Auffahrt hinunter.
    Murad.

107
    Beckman stand vor einem vollgepackten Hörsaal, in schwarzer Cordhose und einem blaukarierten Flanellhemd. Mindestens dreihundert Studenten hingen ihm an den Lippen.
    »Der Film hält die Spannung aufrecht, bis in die letzten Minuten hinein«, sagte Beckman gerade, »als Mills erfährt, dass der von FedEx angelieferte Karton … den Kopf seiner Frau enthält. Der Film endet mit einem
Cliffhanger
. Wir erfahren nicht, welches Schicksal den armen Detective erwartet. Vorher war er vorlaut und selbstbewusst. Doch jetzt ist er mit dem Schrecken konfrontiert, den er gejagt hat. Es ist durchaus vorstellbar, dass er selbst zu so einem Schrecken wird. Wird Mills selbst zum Wilden, oder wird er gerettet? Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, müssen wir die moralische Gesamtheit des Filmes heranziehen, alles, was bisher geschehen ist. Kommt er lebend aus der Sache heraus?«
    Beckman drehte sich recht theatralisch um, hob die Fernbedienung – wie ein Zauberer seinen Zauberstab –, und schon erschien auf der gigantischen Leinwand hinter ihm ein Filmausschnitt. Es waren die letzten Minuten von »Sieben«, in denen

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