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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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ich.
    »Naja, schon. Aber nie mehr als das Allernötigste. Alle anderen sind irgendwann zusammengebrochen und hatten ihre fünfzehn Minuten ›Die Verurteilten‹-Masche, in denen sie den Himmel anheulten. Das Wandern, die Betreuer, diese beschissenen Spanner. Die zwangen einen, diesen ganzen Scheiß von früher hochzuholen. Alle haben sie irgendwann kleingekriegt. Die Hälfte stimmte, das andere war nur, um sie sich vom Hals zu schaffen. Jeder lieferte irgendwann so eine oscarreife Vorstellung ab, klagte über die Eltern und dass man einfach nur
geliebt
werden wollte. Außer Ashley. Sie heulte nie, beschwerte sich nie. Nicht
ein
mal.«
    »Hat sie mal ihre Familie erwähnt?«
    »Nein.«
    »Und ihren Vater?«
    »Nichts. Sie war wie eine Sphinx. So haben wir sie genannt.«
    »Das war
alles
?«, fragte ich.
    Er schüttelte den Kopf und räusperte sich. »Nach drei Wochen Wanderung war Orlando, der fette asiatische Junge, ein Wrack. Er hatte vor lauter Sonnenbrand überall Blasen im Gesicht. Die Betreuer gaben ihm bloß eine Flasche Calamine. Er hatte lauter lila Krusten im Gesicht und heulte die ganze Zeit. Er sah aus, als hätte er Lepra. Deshalb steckte ihm Joshua eines Abends eine der Pillen zu, als Geschenk, um ihn aufzumuntern. Er muss sie genommen haben, denn als wir am nächsten Morgen um neun Uhr aufbrachen, drehte Orlando plötzlich völlig durch. Er umarmte alle und erzählte ihnen, wie schön sie sind. Seine Pupillen waren geweitet und er scharrte mit den Füßen wie John Travolta beim Twist-Wettbewerb. Irgendwann haben wir ihn verloren und mussten umkehren. Wir fanden ihn auf einem Feld. Er wirbelte herum und lächelte den Himmel an. Hawk Feather, der Chefbetreuer, ist total ausgetickt.«
    »
Hawk Feather
?«, wiederholte ich.
    Er grinste. »Die Betreuer bestanden darauf, dass wir einander mit indianischen Stammesnamen ansprachen, obwohl die meisten von uns weiß, fett und ungefähr so naturverbunden waren wie ein Big Mac. Hawk Feather, einer dieser verkrampften christlichen Arschlöcher, packte Orlando und wollte wissen, was er eingeschmissen hatte und wo er die Drogen her hatte. Orlando war so breit, der hat nur gelacht und gesagt ›Das ist nur ein bisschen Paracetamol.‹ Immer wieder, ›Das ist nur Paracetamol.‹«
    Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. Hopper lächelte auch, doch die Erheiterung war schnell verflogen.
    »Am Abend hatten alle eine Scheißangst«, fuhr er fort und strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Wir wollten gar nicht wissen, was Hawk Feather mit Orlando oder uns anderen anstellen würde, um herauszufinden, wer das X eingeschmuggelt hatte. Am Abend verkündete Hawk Feather, er würde uns das Leben zur Hölle machen, wenn niemand damit rausrückte, woher das Ecstasy kam. Alle hatten Angst. Keiner sagte ein Wort. Aber ich wusste, es war nur eine Frage der Zeit, bis jemand Joshua verpfeifen würde. Doch dann sagt auf einmal diese tiefe Stimme ›Ich war das.‹ Alle drehen sich um. Niemand konnte es glauben.«
    Er verstummte. Selbst jetzt noch war er erstaunt.
    »Das war Ashley«, sagte ich, als er nicht weitersprach.
    Er sah mich an, mit ernster Miene. »Ja. Zuerst hat ihr Hawk Feather nicht geglaubt. Sie war immer bevorzugt behandelt worden. Aber dann zeigt sie ihm die
zweite
Pille, die sie irgendwie aus Joshuas Schuh gestohlen hatte. Sie sagt, sie nimmt jede Strafe an, die ihm einfällt.« Er schüttelte den Kopf. »Hawk Feather ist ausgerastet. Er packte sie und zog sie vom Lagerfeuer weg. Er brachte sie zu einem abgelegenen Lagerplatz mitten im Nichts und zwang sie, dort ganz alleine und nur in ihrem Schlafsack zu übernachten. Sie durfte am Morgen nicht zurückkommen, bis er sie abholte.«
    »Und niemand hat sich ihm entgegengestellt?«, fragte ich. »Was ist mit den anderen Betreuern?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Sie hatten Angst vor ihm. Wir waren außerhalb der Zivilisation. Da galten keine Gesetze.« Er nahm die Packung Marlboro vom Tisch und klopfte noch eine Zigarette heraus.
    »Der andere Teil ihrer Strafe war, dass sie alle unsere Zelte aufbauen und das Feuerholz sammeln musste. Wir durften ihr nicht helfen. Wenn sie zu langsam war, brüllte Hawk Feather sie an. Sie starrte ihn einfach an, mit so einem Blick, als sei ihr das alles völlig egal, als sei sie viel stärker als er. Das machte ihn
noch
wütender. Schließlich ließ er locker. Einer der anderen Betreuer warnte ihn, es nicht zu übertreiben. Nach sieben Nächten, die sie ganz alleine schlafen

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