Die amerikanische Nacht
das?«
»Die Angst vor Bauchrednerpuppen. Angst vor allem, was ein wächsernes Gesicht hat. Nachdem er ›Avatar‹ gesehen hatte, musste er ins Krankenhaus.«
»Er sollte sich unbedingt von der Upper East Side fernhalten.«
»Das ist doch Schwachsinn«, sagte Hopper und schob sich das Haar aus dem Gesicht. »Ashley hatte keine Angst vor der Dunkelheit. Wahrscheinlich hat sie nur so getan, damit die Ärzte sie in Ruhe lassen.«
»Was ist mit der Art, wie sie Morgan aus dem Zug heraus angesehen hat?«, fragte Nora. »Vielleicht kannte sie ihn
wirklich
nicht. Vielleicht hatte sie Amnesie oder kurzfristigen Gedächtnisverlust.«
»Nein«, sagte Hopper, »er hatte seinen Zweck erfüllt und sie war fertig mit ihm. Das war’s.«
»Da ist noch eine Sache, über die ich mir Gedanken gemacht habe«, fügte Nora hinzu.
»Nur
eine
Sache?«, fragte ich.
»Morgan hat gesagt, dass Ashley seiner Tochter eine Gutenachtgeschichte vorgelesen hat.«
»Und?«
»Man lässt doch eine Fremde, die man gerade aus der Psychiatrie befreit hat, nicht beim eigenen Kind. Oder?«
»Er wird wahrscheinlich nicht zum Vater des Jahres gewählt werden. Was sagt ihr zu Chuckys Braut, die er aus dem Planschbecken geangelt hat?
Baby
. Ganz zu schweigen von diesem Blag, das mich die Einfahrt hinunter verfolgt hat. Wenn die mal groß ist, steht ihr ein längerer Aufenthalt in Briarwood bevor.«
Nora legte den Kopf schief. »Du glaubst aber nicht, dass Morgan Ashley was getan hat, oder? Als er sie zu sich nach Hause gebracht hat, damit sie sich umziehen konnte – die Art, wie er das beschrieben hat, hat mir richtig Angst gemacht.«
»Er hat sie nicht angerührt«, warf Hopper von hinten ein.
»Woher willst du das wissen?«, fragte Nora und drehte sich zu ihm um.
»Wenn er es getan hätte, wäre er jetzt
ernsthaft
verstümmelt.«
Ich sah ihn im Rückspiegel an. Der Ton seiner Stimme überraschte mich. Er starrte aus dem Fenster, sein Gesicht strahlte von den Scheinwerfern der vorbeifahrenden Autos goldgelb. In den letzten paar Stunden war mir klargeworden, dass seine Bekanntschaft mit Ashley –
Ash
hatte er sie genannt – erheblich intensiver gewesen war, als er sie beschrieben hatte. Er kannte sie besser als behauptet, oder aber er hatte sie einmal ganz genau beobachtet, vielleicht sogar aus der Distanz, wie Devold. Ich war verlockt, nachzuhaken und ihn dazu zu bringen, zuzugeben, dass er mir nicht alles gesagt hatte, entschied mich aber dagegen – fürs Erste. Er würde mich wahrscheinlich nur finster ansehen und sich angegriffen fühlen, und das würde mir nicht weiterhelfen.
Ich sah auf die Uhr am Armaturenbrett. 21 : 42 Uhr.
»Also, wo kann ich euch beide rauslassen?«, fragte ich.
Nora sah mich an. »
Noch
sind wir nicht fertig. Wir müssen noch zu diesem Hotel, dem Waldorf, und prüfen, ob jemand Ashley gesehen hat. Er hat gesagt, sie wollte da hin. Also sollten wir mal nachsehen.«
»Klingt nach einer guten Idee«, brummte Hopper, der meinem Blick im Rückspiegel begegnete.
»Unwahrscheinlich«, sagte ich. »Aber klar. Überprüfen wir das.«
23
Wie die meisten New Yorker gab ich mir große Mühe, um das Waldorf=Astoria einen großen Bogen zu machen. Es war wie eine sehr reiche, sehr dicke und zum Glück sehr weit entfernte Großtante mit drei Speckfalten unter dem Kinn, die Taftblusen trug und so herrisch war, dass man sie nicht sehen, sondern nur einmal
hören
musste, um für die nächsten fünfzehn Jahre genug von ihr zu haben.
Wenn man sich jedoch hineinwagte, durch die Art-déco-Drehtüren und an den Geschäftsleuten aus Milwaukee und der Gruppe Unitarier vorbei, dann tief Luft holte, bevor man sich durch die Menschenmenge die mit Teppich ausgelegte Treppe hinaufkämpfte, an der Schlange zum Starbucks und den Frauen vorbei, die ihre Rollkoffer über die Füße anderer ziehen, dann bestürmte einen augenblicklich der aufgeblasene Luxus dieses Hauses. Die Gewölbedecken. Die Palmen. Die vergoldeten Uhren. Der Marmor. Wenn gerade ein Hochzeitsempfang stattfand – und das war in der Regel der Fall, Braut und Bräutigam hießen Marci und Bobby und kamen aus Massapequa,
Lawn Guyland
–, dann brummte die Lobby wie eine Sporthalle beim Abschlussball.
Hopper und Nora folgten mir durch die Lobby. Wir wichen einer Großfamilie aus, die komplett mit Red-Sox-Sweatshirts ausstaffiert war, und kamen zu einem unauffälligen, holzverkleideten Durchgang. Daneben hing ein winziges goldenes Schild,
The Waldorf Towers –
so
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