Die amerikanische Nacht
diskret, dass es offensichtlich übersehen werden sollte.
Ich schritt den Korridor entlang zu den Aufzügen und betrat einen von ihnen, Nora und Hopper direkt hinter mir.
»Du kennst dich ja wirklich hier aus«, sagte Nora, während ich auf ›E‹ drückte.
Das tat ich wirklich, leider.
Das Waldorf=Astoria diente bloß als Ablenkung von dem Teil des Hotels, in dem die
wichtigen
Leute wohnten, dem exklusiveren Waldorf Towers, dem Hotel der Wahl für Präsidenten, den Herzog und die Herzogin von Windsor, saudische Prinzen und viele stinkreiche Wall-Street-Geschäftsleute, die sich hier mit ihren Geliebten trafen. Traurigerweise war das in etwa der Grund, aus dem
ich
dieses Hotel kannte.
Ich war nicht stolz darauf – und ich kann es ganz bestimmt niemandem empfehlen –, aber kurz nach der Scheidung hatte ich mir höllische sechs Monate lang eine Affäre mit einer verheirateten Frau aufgehalst. Ich traf sie hier, im Waldorf Towers, insgesamt
sechzehnmal
, allerdings erst, nachdem sie mich in E-Mails, die im bitteren Tonfall eines unzufriedenen Chefs geschrieben waren, darüber informiert hatte, dass das Hotel, das ich zunächst für unsere Verabredungen ausgewählt hatte, und das ich mir tatsächlich
leisten
konnte, das alteingesessene Fitzpatrick Manhattan in der Lex – von seinen treuen Stammgästen nur
The Fitz
genannt – zu nah an ihrem Büro gelegen war, dass die Räume zu dunkel waren, das Bettzeug stank und der Mann an der Rezeption sie komisch ansah, als er sie fragte, ob sie Hilfe mit dem Gepäck brauche, und sie verkündete, sie habe keines, sie würde eh nur eine Dreiviertelstunde bleiben.
Die Aufzugtüren öffneten sich und entließen uns in die Lobby des Waldorf Towers, klein, elegant und vollkommen leer.
Wir gingen um eine Ecke zur Rezeption, hinter der ein junger Mann nahöstlicher Abstammung stand. Er war groß und schmal gebaut, mit dunklen Augen. Auf seinem Namensschild stand HASHIM .
Ich stellte mich kurz vor. »Und wir hatten gehofft, Sie könnten uns helfen«, sagte ich. »Wir suchen nach Informationen über eine vermisste Frau. Wir glauben, dass sie irgendwann im letzten Monat hier war.«
Das schien ihn zu faszinieren. Zum Glück wirkte er auch nicht so, als müsse er gleich den Manager rufen.
»Würde es Ihnen was ausmachen, sich mal ihr Foto anzusehen?«, fragte ich.
»Überhaupt nicht.« Seine Stimme klang hell und freundlich, vergoldet mit einem britischen Akzent.
Ich holte Ashleys Vermisstenanzeige aus der Innentasche meines Mantels und gab sie ihm. Ich hatte sie so gefaltet, dass nur ihr Foto zu sehen war.
»Wann war sie hier?«, fragte er.
»Vor ein paar Wochen.«
Er gab mir den Ausdruck zurück. »Tut mir leid. Ich habe sie noch nie gesehen. Natürlich ist das bei dem Bild schwer zu sagen. Wenn Sie mögen, kann ich mir eine Fotokopie machen und sie hinten aufhängen, falls ein anderer Mitarbeiter sie getroffen hat oder sich an sie erinnert.«
»Es wurde nichts Ungewöhnliches gemeldet?«
»Nein.«
»Wird die Lobby gefilmt?«
»Ja. Aber dafür wäre eine richterliche Anordnung notwendig. Ich nehme an, Sie haben die Polizei bereits kontaktiert?«
Ich nickte und Hashim brachte mit einem makellosen Fünf-Sterne-Lächeln sein Bedauern zum Ausdruck, mir nicht weiter behilflich sein zu können –
und dass wir jetzt besser gehen sollten
.
»Sie müsste das hier getragen haben«, sagte Nora, zog Ashleys Mantel aus der
Whole-Foods
-Tüte und legte ihn gefaltet auf die lederne Schreibunterlage.
Er sah ihn sich an und wollte gerade den Kopf schütteln, als ihn etwas an dem Mantel sichtbar davon abhielt.
»Sie erkennen ihn wieder«, sagte ich.
Er sah verdutzt aus. »
Nein.
Aber eine der Reinigungskräfte hat einen Vorfall gemeldet. Das ist schon eine Weile her. Aber ich glaube, es hatte mit einer Person in einem roten Mantel zu tun. Der Grund, warum ich mich erinnere, ist, dass es heute Morgen wieder zur Sprache kam, als die Frau sich weigerte, in einer der Etagen sauberzumachen. Das war ein Problem, denn wir sind voll ausgelastet.«
Hashim blickte auf und sah, dass wir drei auf die Rezeption gelehnt dastanden und ihm gebannt zuhörten.
Erschrocken trat er einen Schritt zurück.
»Warum lassen Sie mir nicht Ihre Nummer da, damit sich mein Vorgesetzter bei Ihnen melden kann?«
»Wir haben keine Zeit für Vorgesetzte«, sagte Hopper und schob Nora zur Seite, um näher an Hashim heranzukommen. »Bei einer vermissten Person zählt jede Minute. Wir müssen mit der
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