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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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einmal gesehen hat«, sagte Hashim.
    »Sie
glaubt
?«, sagte ich. »Sie sieht ziemlich überzeugt aus.«
    Er lächelte unbehaglich, wandte sich wieder der Frau zu und stellte eine Frage. Sie antwortete, ihre Stimme war ernst und leise. Dabei behielt sie Ashleys Mantel im Auge, als sorgte sie sich, er könne lebendig werden. Hashim unterbrach sie, um eine Frage zu stellen, und jetzt antwortete sie erregt und wich ein paar Schritte vor dem Mantel zurück. Sie sprach einige Minuten lang, manchmal mit einer solchen Dramatik, dass ich mich fragte, ob sie eine berühmte Telenovela-Darstellerin war. Ich versuchte, im Strom des Spanischen ein mir bekanntes Wort zu finden, und tatsächlich gelang es mir.
    Jaqueta del diablo. Der Mantel des Teufels.
    »Und?«, fragte ich Hashim, als sie zu sprechen aufgehört hatte und er keine Anstalten machte zu übersetzen.
    Er wirkte irritiert. »Es war vor Wochen«, sagte er. »Fünf Uhr morgens. Sie war im dreißigsten Stock und begann ihre morgendliche Runde.«
    Guadeloupe beobachtete ihn genau. Er lächelte sie schmallippig an.
    »Sie hatte gerade die Tür zu einem Zimmer aufgeschlossen, als ihr etwas am Ende des Gangs auffiel. Etwas Rotes. Sie konnte nicht erkennen, was es war. Sie hatte ihre Brille vergessen. Es war einfach ein roter Ball. Sie dachte, es sei ein Koffer.« Er räusperte sich. »Eine Dreiviertelstunde später, als sie mit dem Raum fertig war, kam sie wieder heraus. Es war immer noch da, dieses
verschwommene rote Ding
. Doch dann bewegte es sich. Guadeloupe rollte mit ihrem Wagen den Flur entlang, und als sie näher kam, merkte sie, dass es eine junge Frau war. Die, die auf Ihrem Bild zu sehen ist. Das Mädchen hatte sich auf dem Boden zusammengerollt und saß mit dem Rücken zur Wand. Sie trug
diesen Mantel

    »Was noch?«, fragte Hopper.
    »Das war’s, fürchte ich.«
    »Hat Guadeloupe mit ihr gesprochen?«, fragte ich.
    »Nein. Sie hat sie geschüttelt, aber das Mädchen war von Medikamenten benommen. Lupe rannte los, um den Sicherheitsdienst zu alarmieren. Als sie zurückkam, war das Mädchen verschwunden. Sie ist seitdem nicht mehr gesehen worden.«
    »Kann sie sich an das genaue Datum erinnern, an dem das passierte?«, fragte ich. »Das wäre hilfreich.«
    »Sie kann sich nicht erinnern. Es ist ein paar Wochen her.«
    Guadeloupe lächelte mich traurig an, und dann fiel ihr scheinbar noch etwas ein. Sie sagte etwas und streckte ihren rechten Arm aus. Ihre Geste war seltsam. Ihre Hand bildete eine Art
Klaue
 – als würde sie in der Luft einen unsichtbaren Türknauf greifen. Dann zeigte sie auf ihr linkes Auge und schüttelte nervös den Kopf.
    »Was hat sie gesagt?«, fragte ich.
    »Das hat sie alles sehr aufgewühlt«, sagte er. »Es ist ungewöhnlich, in unseren Fluren einem Vagabunden zu begegnen. Doch jetzt sollten wir, wenn es Ihnen nichts
ausmacht
, Lupe weiter ihre Arbeit machen lassen.«
    Sein Fünf-Sterne-Kundenservice hatte sich auf Ein-Sterne-Niveau verschlechtert. Nicht einmal Hopper reichte aus, um ihn davon abzuhalten, die Befragung zu beenden. Hashim schien sogar bewusst zu vermeiden, ihn anzusehen.
    »Unten haben Sie gesagt, dass sie heute Morgen die ihr zugewiesene Etage nicht reinigen wollte«, sagte ich. »Worum ging es da?«
    »Das Mädchen hat ihr Angst gemacht. Wir müssen zurück in die Lobby. Alle weiteren Fragen sollten Sie direkt mit der Polizei klären.« Er sagte noch ein paar Worte zu Guadeloupe und ging zur Tür.
    Nora stopfte den Mantel zurück in die Tüte – Guadeloupe sah ihr nervös dabei zu –, Hopper und ich folgten. Doch während Hashim weiterging, lief ich heimlich zurück in das Schlafzimmer.
    Ich wollte einen Augenblick mit Guadeloupe allein sein – und sie vielleicht dazu bringen, noch etwas zu sagen, das ich dann später übersetzen konnte. Ich fand sie im Badezimmer. Sie stand vor einem Spiegel, der über einem Waschbecken aus rosa Marmor hing. Als sie mein Spiegelbild sah, hüpfte ihr Blick von ihrem Gesicht auf meines. Ihr Gesicht war so voller Panik, dass ich erschrak. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen.
    »Sir«, herrschte mich Hashim von hinten an. »Sie verlassen jetzt dieses Zimmer, oder ich rufe den Sicherheitsdienst.«
    »Ich habe mich nur bei Guadeloupe bedankt.«
    Mit einem letzten Blick auf sie – Hashim hatte sie eingeschüchtert, denn jetzt kauerte sie schon über der Badewanne, mit dem Rücken zu mir – folgte ich ihm hinaus.

25
    »Die Polizei wird Ihnen bei allem Weiteren behilflich

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