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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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Reinigungskraft sprechen. Ich weiß, dass Sie dafür ein paar Vorschriften umgehen müssen, aber …« Er lächelte. »Wir wären Ihnen sehr dankbar.«
    Ich hatte im Auto vorgeschlagen zu behaupten, dass Ashley nicht tot war, sondern vermisst wurde; bei Vermissten war, wie ich herausgefunden hatte, die Hilfsbereitschaft und das Verständnis dafür größer, dass es eilte. Diese Strategie schien zu funktionieren. Vielleicht war es aber auch Hoppers Aussehen, das den Mann auf Touren gebracht hatte, denn Hashim starrte Hopper einige Sekunden länger an als nötig. Kurz blitzte in seinem Gesicht der schamlose Blick der Begierde auf, so unverkennbar wie ein Lichtsignal, das ein Öltanker einem anderen Schiff zusendet. Der Mann nahm das Telefon, klemmte sich den Hörer unters Kinn und wählte eine Nummer.
    »Sarah. Hier ist Hashim von der Rezeption. Guadeloupe Sanchez. Dieser Vorfall, den sie vor ein paar Wochen berichtet hat. War da nicht was mit einem roten Mantel? Ist das nicht –
oh
.« Er verstummte und lauschte. »Hat sie jetzt noch Dienst?« Er lauschte. »Neunundzwanzigster. Alles klar, Danke.«
    Er legte auf.
    »Kommen Sie mit«, sagte er und lächelte Hopper kurz zu.

24
    Wir folgten Hashim in einen Aufzug, wo er einen weißen Kartenschlüssel in den Schlitz schob und die 29 drückte.
    Wir fuhren schweigend nach oben. Doch einige Male sah Hashim schnell zu Hopper hinüber, der auf seine Chucks hinabstarrte. Ich verstand nicht, was da stillschweigend zwischen ihnen kommuniziert wurde, doch es wirkte; die Türen öffneten sich, Hashim trat zügig heraus und ging den cremefarbenen Flur entlang.
    Ganz am Ende stand ein Reinigungswagen. Wir gingen darauf zu, Nora blieb ein wenig hinter uns, um die Schwarzweißfotografien an den Wänden zu betrachten, Bilder von Frank Sinatra und Queen Elizabeth.
    Als wir bei dem Wagen ankamen, klopfte Hashim fest an der Tür mit der Aufschrift 29 T, die nur angelehnt war.
    »Miss Sanchez?«
    Er drückte die Tür auf. Wir marschierten hinter ihm her in das leere Wohnzimmer der Suite: blaue Sofas, blauer Teppichboden, die Wände extravagant bemalt, mit griechischen Säulen und einer blauhäutigen Göttin.
    Hashim trat durch eine Kochnische und wir drei folgten ihm.
    Sie führte in ein Schlafzimmer, in dem eine zierliche grauhaarige Frau gerade dabei war, das Bett zu machen. Sie sah hispanisch aus und trug dunkelgraue Arbeitskleidung. Sie reagierte nicht auf uns, weil sie Musik hörte – um den Arm hatte sie einen hellgrünen iPod geschnallt.
    Sie ging um das Bett herum und steckte das Bettlaken fest, dann entdeckte sie uns.
    Sie schrie schrill auf und presste sich mit hervorquellenden Augen die Hand vor den Mund.
    Man hätte denken können, wir seien gerade mit Kapuzenmänteln und Sensen bewaffnet einmarschiert.
    Hashim sprach Spanisch mit ihr. Er entschuldigte sich dafür, sie erschreckt zu haben, und die Frau – Guadeloupe Sanchez, das hatte ich aufgeschnappt – nahm die Kopfhörer aus den Ohren und murmelte in einer Reibeisenstimme eine Antwort.
    »Wie steht’s um Ihr guatemaltekisches Spanisch?«, fragte Hashim gutgelaunt.
    »Könnte besser sein«, sagte ich.
    Nora und Hopper schüttelten beide den Kopf.
    »Dann werde ich versuchen zu übersetzen.« Förmlich wandte er sich wieder ihr zu und legte in tadellosem Spanisch los.
    Sie hörte ihm mit großem Interesse zu. Gelegentlich löste sie ihren Blick von Hashim, um uns zu mustern. Einmal – er musste ihr gerade erklärt haben, wer wir waren – nickte sie beinahe ehrerbietig und flüsterte,
Si, si, si
. Dann trat sie am Bett vorbei auf uns zu, ganz langsam und nervös, als wären wir drei Stiere, die auf sie losgehen könnten.
    Aus der Nähe sah das Gesicht der Frau rund und mädchenhaft aus, mit den dicken Backen eines Kleinkinds. Doch ihre karamellfarbene Haut war so voller feiner Falten, dass sie aussah wie ein braunes Blatt Papier, das man in der Hand zusammengeknüllt hatte.
    »Zeigen Sie ihr das Bild«, sagte Hashim.
    Ich zog es aus meiner Manteltasche hervor.
    Es dauerte einen Augenblick, bis sie vorsichtig ihre Brille entfaltet und auf die Nasenspitze gesetzt hatte. Erst dann nahm sie das Bild von mir. Sie sagte etwas auf Spanisch.
    »Sie erkennt sie wieder«, sagte Hashim.
    Nora, die in der
Whole-Foods
-Tüte an Ashleys Mantel herumgezupft hatte, schaffte es, ihn herauszuziehen und hielt ihn an den Schultern hoch.
    Die Frau warf einen Blick darauf und erstarrte flüsternd.
    »Sie glaubt, dass sie ihn schon

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