Die amerikanische Nacht
sein«, sagte Hashim, als er uns vor dem Eingang des Hotels in der East 50 th Street aussetzte. »Viel Glück!«
Er wartete, bis wir zur Ecke Park Avenue auf Höhe der Bartholomew Church gegangen waren, und sagte dann etwas zum Portier – zweifellos Anweisungen, den Sicherheitsdienst zu rufen, falls wir zurückkommen sollten –, dann verschwand er im Hotel.
Es war jetzt nach elf, ein kalter, klarer Abend. Taxis und Limousinen röhrten die Park Avenue hinunter, doch die breiten Gehsteige in Richtung Norden waren ruhig und menschenleer, die großen Gebäude nichts als hohle Kathedralen vor dem Abendhimmel. Trotz des Verkehrs fühlte es sich hier einsam an. Der Eingang der Kirche war übersät mit den dunklen, reglosen Formen von Männern in dicken Jacken, die auf Pappkartons lagen und schliefen. Sie hätten auch dunkle Wale sein können, die eine sich plötzlich zurückziehende Flut überrascht hatte und die nun auf den Stufen gestrandet waren.
»Was denkst du?«, fragte Nora mich.
»Lupe? Sie war ein bisschen sehr dramatisch, aber sie muss die Wahrheit gesagt haben. Ihre Version davon.«
»Warum sollte Ashley im dreißigsten Stock sitzen und einfach nur
schlafen
?«
»Vielleicht hat sie bei jemandem übernachtet. Und hatte keinen Schlüssel. Oder sie war dort verabredet.«
»Hast du gesehen, wie sie den Mantel angestarrt hat? Als hätte sie erwartet, dass er sie jeden Augenblick anspringt.«
»Sie hat ihn den Mantel des Teufels genannt. Hashim hat vergessen, das zu erwähnen.«
»Er hat viele Sachen vergessen zu erwähnen«, warf Hopper ein. Er hatte zum Eingang des Hotels zurückgespäht, trat aber jetzt zu uns und wühlte in seinen Manteltaschen herum. »Die Hälfte hat er sich ausgedacht.«
»Du kannst also doch Spanisch«, sagte ich.
»Als ich sieben war, habe ich in Caracas gewohnt. Danach bin ich ungefähr ein Jahr lang durch Argentinien und Peru gewandert.« Er sagte das mit einer gelangweilten Gleichgültigkeit, während er eine Zigarette herausklopfte und sich mit dem Rücken zum Wind drehte, um sie anzuzünden.
»Wie Che Guevara in ›Die Reise des jungen Che‹?«, fragte Nora.
»Es war die Hölle. Aber ich bin froh, dass es für etwas gut war. Zum Beispiel zu merken, wenn mich jemand verarschen will.«
Ich war, gelinde gesagt, überrascht. Ich hatte nicht gedacht, dass der Junge zweisprachig war. Doch dann erinnerte ich mich an ein Detail, das er hatte fallenlassen, als er mir in seiner Wohnung vom Six-Silver-Lakes-Camp erzählt hatte.
Ich bin mit meiner Mama durch Südamerika gereist, sie stand damals auf so einen missionarischen Schwachsinns-Kult. Ich bin abgehauen.
»Ich wollte herausfinden, ob er ehrlich war. Er war’s nicht.« Hopper blies eine lange Rauchfahne in die Luft. »Den Typen mochte ich nicht.«
»Er mochte
dich
aber.«
Er antwortete nicht, scheinbar langweilte ihn die Bemerkung.
»Also, was hat sie
wirklich
gesagt?«, fragte ich.
»Es war ein bisschen schwer zu verstehen, weil sie einen guatemaltekischen Dialekt sprach.
Und
sie war völlig durchgeknallt.«
»Warum war sie völlig durchgeknallt?«, fragte Nora.
»Sie glaubt an Gespenster, Geister, und dass sie alle um uns herumschwirren wie Pollen. Sie hat fünfzehn Minuten lang nur erzählt, wie viele
Curanderas
es in ihrer Familie gab.«
»Was ist das?«, fragte ich.
»So ein schwachsinniger Medizinfrauen-Volksglauben. Ich hab wirklich schon von denen gehört. Sie heilen Körper und Seele. Da wirst du alle Beschwerden auf einmal los.«
»Und worüber hat er gelogen?«
»Es stimmt, dass die Frau Ashley im dreißigsten Stock gesehen hat. Aber ab dem Punkt, wo sie ihren Wagen den Flur entlangschob, hat er alles Mögliche erfunden. Sie hat sie
espírítu rojo
genannt,
roter Geist
. Sie dachte nicht, dass da ein Mensch saß, sondern eine verirrte Seele oder so was, die zwischen Leben und Tod gefangen war. Als sie näher kam, spürte sie etwas, wie eine Veränderung der Erdanziehung. Als sie vor Ashley in die Hocke ging, war sie
inconsciente
. Bewusstlos. Aber nicht von Medikamenten. Sie hat sie
una mujer de las sombras
genannt. Eine Frau der Schatten.« Er zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung, was sie meinte. Als sie sie berührte, war Ashley eiskalt, deshalb hat sie sie an den Schultern gefasst und geschüttelt, und als sie die Augen öffnete, starrte sie
la cara de la muerte
an. Das Gesicht des Todes.«
Er verstummte und dachte nach. »Sie sagte, Ashley sei gebrandmarkt«, fügte er hinzu.
»Und
Weitere Kostenlose Bücher