Die amerikanische Nacht
stand sie auf und lugte heimlich hinter den Pfeilern hervor zu der Stelle, an der ich sie rausgelassen hatte. Als sie sah, dass ich weg war, hüpfte sie die Treppe hinab und ging zu dieser Straßenecke zurück.
Ich rollte wieder auf die Straße. Als sie das Deli erreichte, ging sie an den Kübeln mit Schnittblumen vorbei, sagte etwas zu dem alten Typen, der dort saß, und ging hinein.
Ich fuhr wieder rechts ran und wartete. Eine Minute später kam sie mit diesen riesigen Drogeriemarkttüten heraus, die sie auch im Pom Pom Diner dabei gehabt hatte, sowie – seltsamerweise – einem großen, zylindrischen Vogelkäfig aus weißem Draht.
Mit diesem Gepäck überquerte sie die Straße und ging auf der Ninth in Richtung Süden.
Ich wartete, bis es grün wurde, und bog rechts ab. Sie schleppte sich vor mir her über den Gehsteig. Ich bremste ab, um sie nicht zu überholen – hinter mir hupte ein Taxi – und sah, wie sie vor der Tür eines schmalen Geschäfts anhielt. PAY -O- MATIC stand auf dem Schild. Sie drückte einen Knopf, wartete und verschwand in dem Laden.
Ich gab Gas und bog schnell in die 51 st Street ab, wo ich vor einem Hydranten parkte. Ich schloss das Auto ab und ging zurück zur Ninth.
Die Glasfront von PAY -O- MATIC klebte voller Schilder:
Western Union, Wir lösen Schecks ein, 24 -Stunden Finanzdienstleistungen.
Das Geschäft war winzig, mit braunem Teppichboden und zwei Klappstühlen. Auf dem Fußboden standen Kisten gestapelt. An der hinteren Wand war ein Kassenschalter mit kugelsicherem Glas.
Ich klingelte. Nach ungefähr einer Minute öffnete sich die Hintertür und ein großer, glatzköpfiger Mann streckte seinen Kopf heraus.
Er trug ein schwarzes, kurzärmeliges Hemd und hatte ein Gesicht wie ein Stück Pastrami. Er drückte einen Schalter an der Wand, und die Ladentür öffnete sich.
Als ich eintrat, betrat er den Kassenschalter und wischte sich die Hände an seinem Hemd ab. Ich sah jetzt, dass das Hemd komplett mit roten Bambuszweigen verziert war. Männern, die Stickereien trugen, traute ich grundsätzlich nicht über den Weg.
»Ich suche nach einer jungen Frau mit Einkaufstüten und einem Vogelkäfig.«
Er täuschte Verwirrung vor. »Wer?«
»Nora Halliday. Neunzehn. Blond.«
»Ich bin alleine hier.« Er sprach mit ausgeprägtem New Yorker Akzent.
»Dann muss ich Timothy Leary sein und gerade heftiges Acid eingeschmissen haben, denn ich hab sie gerade hier hineingehen sehen.«
»Meinen Sie Jessica?«
»Ganz genau.«
Er starrte mich besorgt an. »Sind Sie ein Cop?«
»Was glauben Sie?«
»Ich will keinen Ärger.«
»Ich genauso wenig. Wo ist sie?«
»Im Hinterzimmer.«
»Was macht sie da?«
Er zuckte mit den Schultern. »Sie gibt mir vierzig Dollar. Ich lasse sie da übernachten.«
»Vierzig Dollar? Sonst nichts?«
»
Hey
«, sagte er abwehrend. »Ich hab Familie.«
»Wo ist das Hinterzimmer?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, ging ich zur einzigen Tür und öffnete sie.
Sie führte zu einem vollgestellten, dunklen Treppenhaus.
»Ich will keinen Ärger.« Er stand direkt neben mir, sein schweres Rasierwasser haute mich fast um. »Es war ein Gefallen.«
»Für wen?«
»
Sie.
Sie ist hier vor sechs Wochen aufgetaucht, hat geweint. Ich hab ihr geholfen.«
Ich trat an ihm vorbei in den Flur. Gedämpfte Rapmusik pochte vom Stockwerk über uns herab und verlieh dem Gebäude einen dröhnenden Herzschlag.
»
Bernstein!
«, rief ich laut.
Keine Antwort.
»Ich bin’s, Woodward. Ich muss mit dir reden.«
Am Ende des Flurs sah ich zwei geschlossene Holztüren. Ich ging darauf zu, an einer Kochnische vorbei und an einem Wischeimer, in dem dreckiges Wasser stand. Auf einem Klapptisch lag ein halbgegessenes Sandwich.
»Ich weiß, dass du hier irgendwo bist«, rief ich.
Die erste Tür war nur angelehnt. Ich drückte sie mit dem Fuß auf. Es war eine Toilette, auf dem Boden lag ein verknittertes Pornoheft. Daneben klebte ein Streifen Klopapier.
Ich ging weiter und klopfte an die zweite Tür. Als niemand antwortete, versuchte ich, sie zu öffnen. Es war abgeschlossen.
»Nora.«
»Lass mich in Ruhe«, sagte sie leise. Es klang, als sei sie nur Zentimeter entfernt, hinter einem Stück Pappe.
»Warum machst du nicht die Tür auf, damit wir uns unterhalten können?«
»Ich möchte, dass du gehst, bitte.«
»Aber ich will dir einen Job anbieten.«
Sie antwortete nicht.
»Bei mir ist eine Stelle frei, für eine Assistentin. Kost und Logis sind inbegriffen. Du müsstest
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