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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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Einbildung entsprungen war, eine Nacht, die in der echten Welt nichts zu suchen hatte.
    Nora hielt jetzt den DIN - A 4 -Umschlag mit Ashleys Polizeiakte in der Hand – den Umschlag, den mir Sharon Falcone gegeben hatte –, zog einen Stapel Blätter heraus, löste die erste Seite ab und reichte sie mir. Es war eine Farbkopie mit Fotos von Ashleys Leiche, als sie in der Gerichtsmedizin eingeliefert wurde. Es gab verschiedene Aufnahmen – bekleidet und unbekleidet, doch Sharon hatte zu Recht bemerkt, dass die allzu expliziten Bilder, die Aufnahmen des kompletten nackten Körpers von vorne und von hinten, in der Akte fehlten. Auf dieser Aufnahme war der obere Teil von Ashleys Gesicht zu sehen. Ihre grauen Augen waren rot und gelb verschmiert und starrten trübe ins Leere.
    »Achte auf ihr linkes Auge«, sagte Nora.
    In der Iris war ein schwarzer Fleck.
    »Das hier? Das ist eine Pigmentkonzentration in der Iris. Das haben viele.«
    »Aber nicht
so
. Der Fleck liegt perfekt waagerecht zur Pupille. Das muss Guadeloupe gemeint haben. Ihre Markierung. Ich habe das spanische Wort vergessen, das Hopper gesagt hat, aber es bedeutete Abdruck des Bösen.«
    »
Huella del mal

    »Und dann noch das, was mit Cordovas
erster
Frau passiert ist.«
    »Genevra.«
    Nora nickte.
    »Das habe ich überprüft.« Ich gab ihr das Foto zurück und setzte mich wieder aufs Sofa. »Genau wie die Polizei und hundert andere Reporter und Klatschkolumnisten damals. Sie hatte erst zwei Monate zuvor Schwimmen gelernt. Ihre Familie war ein Haufen Snobs aus Mailand, die Cordova nicht ausstehen konnten, weil sie ihn für einen Ungläubigen aus der Arbeiterklasse hielten. Und selbst die räumten ein, dass es ein schrecklicher Unfall gewesen sein musste. Genevra war als ziemlich impulsiv bekannt. Sie verkündete der Nanny ihres Sohnes, dass sie runter zum See gehen wollte, um Schwimmen zu üben. Man bat sie zu warten, aber das wollte sie nicht. Erst war es bewölkt, dann fing es an zu regnen und schließlich zog ein Gewitter auf. Sie muss die Orientierung verloren haben. Konnte wahrscheinlich das Ufer nicht mehr erkennen. Als man sie fand, hatte sie sich im Schilf am Boden des Sees verfangen. Cordova war gerade mit der Postproduktion von ›Treblinka‹ beschäftigt und hatte ein Dutzend Alibis, darunter sein gesamtes Team und sein Produzent von Warner Brothers, der mit der Presse gesprochen hat, Artie Cohen. Drei Monate später gab Cordova dem
Rolling Stone
sein letztes Interview, das am 29 . Oktober 1977 in Druck ging. Danach ist er nie wieder öffentlich in Erscheinung getreten.«
    Nora schien mir nicht zuzuhören. Sie biss sich auf die Lippe und wühlte energisch in den Unterlagen. Sie zog einen Artikel aus meinen alten Aufzeichnungen, eine Mikrofiche-Kopie, und reichte sie mir.
    Ich hatte den Artikel vor Jahren in einem Archiv ausgedruckt. Er war am 7 . Juli 1977 in der
Albany Times-Union
erschienen.
    »Selbst wenn es ein Unfall war«, sagte Nora. »Wenn deine erste Frau und deine Tochter tödlich verunglücken – ist das zumindest
    keine Erfolgsbilanz, was dein Karma betrifft. Aber mir ist besonders aufgefallen, was ihre
Freundin
gesagt hat.«
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    »Dass sie melancholisch war.«
    Sie nickte. »Genevra hat
vielleicht
Selbstmord begangen. Wenn Ashley es auch getan hat, was sagt das über Cordova aus?«
    »Der Mann ist Gift. Andererseits, wenn eine Mutter Selbstmord begeht und ihr kleines Kind zum Halbwaisen macht, widerspricht das doch den mütterlichen Urinstinkten.«
    »Das lag daran, dass sie mit
ihm
zusammen war.« Nora beugte sich vor und blickte zweifelnd auf den Stapel Papier hinab. »Ich habe deine anderen Aufzeichnungen gelesen, aber du warst ja nicht sehr erfolgreich darin, jemanden dazu zu bringen, über ihn zu reden.«
    »Danke für die Erinnerung. Das ist mir schon klar.«
    Sie knabberte an ihrem Daumennagel und runzelte die Stirn. »Wir brauchen eine neue Quelle.«
    »Ich hatte noch eine vielversprechende Quelle. Aber ich hab’s nicht geschafft, sie zu knacken.«
    »Welche denn?«
    »Die Blackboards. Das unsichtbare Cordoviten-Netzwerk auf Onion. Eine Community seiner Hardcore-Fans.«
    »Was ist Onion?«
    »Das versteckte Internet. Man muss ein Plug-in für Firefox herunterladen, um hineinzukommen. Ich hab’s geschafft, die URL von einem befreundeten Professor zu bekommen und habe versucht, mich einzuloggen. Ich werde jedes Mal rausgeworfen.« Ich stellte meinen Laptop auf den Schreibtisch,

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