Die amerikanische Nacht
hat ständig geheime Mitternachtsvorführungen im Gemeinschaftsraum veranstaltet.« Sie sah mich an. »Moe war eine Dreifachbegabung.«
»Er konnte singen, tanzen und schauspielern?«
Sie schüttelte den Kopf. »Er konnte Armenisch, einen Hengst zureiten und ging in Kleidern als Frau durch.«
»Das nenn ich
wirklich
begabt.«
»Wenn er sich verkleidete, dachte jeder, dass er eine Frau war.«
»Wenn du das sagst.«
»Er sagte immer, wenn er mal nicht mehr da sein würde, wäre das das Ende einer seltenen Art. ›Einen von meiner Sorte wird es nie wieder geben, weder in Gefangenschaft noch in freier Wildbahn.‹ Das war sein Motto.«
»Wo ist der alte Moe jetzt?«
»Im Himmel.«
Sie sagte das mit einer sehnsüchtigen Gewissheit, als hätte es genauso gut Bora Bora sein können.
»Er ist an Kehlkopfkrebs gestorben, als ich fünfzehn war. Er hatte, seit er zwölf war, Zigarillos kettengeraucht, weil er auf der Rennbahn groß geworden ist. Aber er hat mir seine komplette Garderobe vermacht, deshalb ist er immer bei mir.«
Sie wand ihren Arm aus der dicken Wollstrickjacke, um mir das rote Etikett zu zeigen, das aufwendig beschriftet am Hals eingenäht war.
Eigentum von Moe Gulazar
, stand darauf.
Dann steckte also eine greise armenische Dragqueen hinter ihrer extravaganten Garderobe.
Mein erster Gedanke war, dass sie sich das ausgedacht haben musste: Sie hatte vermutlich einen Karton voller Klamotten im Secondhandladen gefunden, die alle mit demselben geheimnisvollen Etikett ausgestattet waren, und sich eine phantastische Geschichte ausgedacht, wie sie darangekommen war. Doch als sie ihren Arm wieder in den Ärmel steckte, sah ich, dass sie errötet war.
»Ich vermisse ihn jeden Tag«, sagte sie. »Ich hasse es, dass man die Menschen, die einen wirklich verstehen, so schnell verliert. Und die, die dich überhaupt nicht verstehen, bleiben. Schon mal aufgefallen?«
»Ja.«
Vielleicht stimmte es
doch
. Und überhaupt, wenn man sich entscheiden musste, ob man an die Existenz eines armenischen Dragqueen-Pferdetrainers glauben wollte oder nicht, dann glaubte man lieber.
Zu meiner Überraschung hatte die Website fertiggeladen. Oben stand: DU HAST ES GESCHAFFT .
Ich zog einen Holzstuhl heran und setzte mich neben Nora. Dabei fiel mir auf, dass sie nach einem moschusartigen Männerduft roch, der dramatisch wie eine Note dunkler Schokolade in der Luft lag. Ich stellte mir unweigerlich vor, dass das der Beweis war, den ich brauchte, eine Spur des alten Moe Gulazar, der immer bei ihr war.
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Unter Verwendung der Abbildung © Joel Gillespie
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29
Nora und ich verbrachten den Großteil der Nacht auf den Blackboards-Seiten.
Es war so, als tastete man sich durch ein stockdunkles Gruselkabinett mit Falltüren und Tunneln, Stimmen, die aus türlosen Räumen drangen, und stolperte wacklige Treppen hinab, die sich endlos tief in den Boden wanden.
Jedes Mal, wenn ich vorschlagen wollte, schlafen zu gehen, um dieses endlose Cordova-Archiv am nächsten Morgen mit ausgeruhten Augen weiter zu durchstöbern, fanden wir eine weitere Anekdote, die es anzuklicken galt, einen weiteren unheimlichen Vorfall, ein Gerücht oder ein seltsames Foto.
Das Böse aus uns rausschocken – eine ganze Menge der Seiten widmeten sich Cordovas angeblicher Lebensphilosophie. Sie bedeutete, kurz gesagt, dass Angst zu haben,
zu Tode erschrocken zu sein
, der Beginn der Freiheit war. Man öffnete die Augen für das Brutale und Dunkle und Großartige des Lebens, und besiegte so die Ungeheuer im eigenen Kopf. Dies bedeutete, in der Sprache der Cordoviten,
das Lamm zu schlachten
, sein eigenes sanftmütiges, ängstliches Selbst zurückzulassen und sich von den Einschränkungen zu befreien, die Freunde, Familie und die Gesellschaft
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