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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisha Pessl
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musste schnell weg, und sie hat ein paar Stunden auf meinen Neffen aufgepasst. Dafür war ich ihr dankbar. Aber dann wechselt sie das Schloss, haut ab und lässt mich ohne Miete sitzen. Ich betreib hier ein Geschäft, keine Wohltätigkeitsorganisation.« Sie starrte wieder böse die Tür an. »Jetzt muss ich den Schlüsseldienst zahlen.«
    »Wie lang hat sie hier gewohnt?«, fragte ich.
    »So einen Monat. Aber ich hab sie seit Wochen nicht gesehen.«
    »Und wie ist sie auf Sie gekommen?«
    »Sie hat auf meine Anzeige geantwortet. Ich hab bei Port Authority ein paar Zettel aufgehängt.«
    »Was kostet es, wenn wir die Tür aufbrechen?«, fragte Hopper. Er fuhr mit den Händen über die Tür und klopfte dagegen. »Wir übernehmen auch, was Kay an Miete schuldig war.«
    »Äh, das waren – klar, hundertfünfzig. Plus die Schäden an der Tür.«
    »Hier sind dreihundert?« Er hielt ihr ein Bündel Scheine hin, die sie hastig ergriff. Dann schritt er zum Ende des Gangs, wo eine Tür mit einer schmierigen Fensterscheibe war – eine Art Gemeinschaftsbad – und ein Feuerlöscher. Er zog den Feuerlöscher aus der Halterung, kam damit zurück, stemmte ihn über den Kopf und rammte ihn gegen den Türriegel.
    Das wiederholte er fünfmal, bis das Holz zersplittert war. Dann warf er die Flasche beiseite – mit einer entspannten Leichtigkeit, die erkennen ließ, dass er das nicht zum ersten Mal tat –, ging ein paar Schritte zurück und trat die Tür mit einem Sidekick ein. Die Tür flog auf, knallte gegen die Wand und schnellte zurück, blieb jedoch einen Spalt breit offen stehen.
    Einen Augenblick lang bewegte sich niemand. Hopper drückte die Tür weiter auf.
    Innen war es stockdunkel. Das Licht vom Flur erhellte nur ein Stück des rissigen Zementbodens. Die blaue Wandfarbe blätterte ab.
    Außerdem fiel sofort der Gestank auf – nach etwas Verfaultem.
    Ich drehte mich um, weil ich die Vermieterin fragen wollte, wann sie zuletzt in Kay’s Wohnung gewesen war, doch sie war auf Abstand gegangen.
    »Ich muss zurück«, murmelte sie. Dann drehte sie sich um und rannte mit klatschenden Flipflops den Flur entlang. »Muss nach meinem Neffen sehen.« Sie raste durch die Tür. Sekunden später konnte man sie die Treppe hinunterlaufen hören.
    »Sie hat Angst«, sagte ich.
    »Es ist dieser Geruch«, flüsterte Nora.

35
    Hopper machte einen Schritt hinein. Ich folgte ihm und suchte die abblätternden Wände nach einem Lichtschalter ab.
    »Scheiße«, sagte er hustend. »Der Geruch ist wirklich fürchterlich.«
    Es knirschte laut, als er versehentlich auf etwas trat – einen Klappstuhl aus Metall. Dann fummelte er an einer Lampe herum, und plötzlich war der Raum in blasses Licht getaucht.
    Er war klein und kahl, mit einem ausgeblichenen braunen Teppich, einem Fenster mit zerrissenem Rollo und einer durchgelegenen Metallliege in einer Ecke. Etwas an der Art, wie das Betttuch aufgedeckt war und ein grünes Laken auf den Boden hing – im Kissen war deutlich eine Delle zu erkennen –, schien darauf hinzudeuten, dass Ashley erst vor wenigen Augenblicken aus dem Bett geklettert war. Eigentlich vermittelte der gesamte schäbige Raum das Gefühl, dass sie gerade da gewesen war. Ihr Atem hing noch in der muffigen Luft.
    Der widerliche Gestank, eine Mischung aus Abwasser und Verbranntem, schien aus den Wänden zu sickern. An der Decke war über dem Fenster ein brauner Fleck, als hätte man auf dem Dach etwas geschlachtet und es dann zum Ausbluten in die Dachbalken gehängt. Auf dem Zementboden lagen Plastikfolien, und er war klebrig, weil eine dunkle Limonade verschüttet worden war.
    »Hat Devold nicht gesagt, dass Ashley einen weißen Schlafanzug trug, als er sie aus Briarwood herausgeholt hat?«, fragte Hopper.
    »Ja«, sagte ich.
    »Der liegt hier.«
    Tatsächlich – eine weiße Baumwollhose mit Kordelzug und ein Oberteil lagen zusammengeknüllt auf dem Betttuch.
    Hopper schien sie nicht anfassen zu wollen. Ich nahm die Hose und merkte zu meiner Überraschung nicht nur, dass
A. Cordova
MH - 314
 – ihre Zimmernummer in Briarwood – auf die Innenseite des Bundes gedruckt stand, sondern dass die Beine zudem noch immer ihre Form bewahrten. Genauso das Oberteil; es war kastenförmig wie ein OP -Kittel geschnitten, der linke Ärmel war noch im Winkel ihres Ellbogens gebogen.
    Ich legte beides zurück aufs Bett und ging zu einem kleinen Kleiderschrank. Es war nichts drin – bloß vier Drahtkleiderbügel auf einer

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