Die amerikanische Nacht
Schweigen und starrte zu Boden. »Sie kam nie wieder. Ich
dachte
an sie. Aber ich habe niemandem von ihr erzählt, bis Sie hereinkamen.« Er sah Hopper an. »Ich war erleichtert, als Sie nach ihr fragten, froh zu wissen, dass ich sie mir nicht selbst ausgedacht hatte. Ich habe … ich stehe in letzter Zeit ziemlich unter Druck.« Er errötete. »Man könnte sagen, ich war froh, wenigstens nicht verrückt geworden zu sein.« Sein Blick wanderte zurück zum Flügel. »Sie war ein wenig wie diese Kathedrale. Sie erhob sich, raubte mir den Atem, dann verfiel sie und verschwand und ließ nur ein Echo zurück. Und mich, der ich nicht sicher war, was ich gesehen hatte.«
»Haben Sie eine Videoüberwachung hier im Laden?«, fragte ich.
»Wir haben eine Alarmanlage, aber keine Kameras.«
»Hat sie sonst irgendwas erwähnt? Wo sie wohnte?«
»Nein. Wir haben nur das gesprochen, was ich Ihnen erzählt habe.«
»Und sie hat nichts liegen lassen? Keine persönlichen Gegenstände?«
»Ich fürchte nicht.«
Nora war zu dem kleinen Tisch an der Wand hinübergegangen, auf dem das Gästebuch aufgeschlagen lag, und blätterte es durch.
»Das ist wirklich alles – oh,
bitte
seien Sie vorsichtig damit.« Peter hastete hinter ihr her. »Die Seiten sind recht empfindlich und wir haben nur das eine Exemplar.«
»Ich will nur herausfinden, ob sie hineingeschrieben hat«, sagte Nora. Peter sah ihr dabei nervös über die Schulter.
Hopper war zum Fazioli Flügel getreten, den Ashley gespielt hatte. Er strich ehrfürchtig mit der Hand über die glänzenden Tasten. Einige scharfe Töne erklangen.
Ich ging hinüber zu Nora. Sie hatte die Seite für den 10 . Oktober gefunden und ging mit dem Finger die Liste der handgeschriebenen Namen und Adressen durch.
»Daniel Hwang«, las sie. »Yuja Li. Jessica Song. Kirill Luminovich. Boris Anthony Sergei.« Sie blätterte ziemlich unsanft um, und Peter berührte seine Stirn, als würde er gleich in Ohnmacht fallen. »Kay Glass. Viktor Koslov. Ling Bl…«
»Was hast du gesagt?«, fragte ich.
»Viktor Koslov.«
»Davor.«
»Kay Glass.«
Ich trat neben sie und starrte ungläubig auf die Seite hinab.
Der Name war mit schwarzem Stift geschrieben, in Großbuchstaben und in der mir bekannten Handschrift, die, da war ich mir sicher, mit der auf dem Zettel übereinstimmte, den uns Morgan Devold gezeigt hatte – und vielleicht auch mit der auf dem Umschlag, den Hopper erhalten hatte.
»Das ist sie«, sagte ich.
33
Die Straßen waren eng, mickrige Bodegas und heruntergekommene Mietshäuser drängten sich dicht aneinander. Die oberen Fenster standen voll Zimmerpflanzen und Shampooflaschen und leuchteten wie dreckige Aquarien, in Neongrün und -blau. Ab und an kamen wir an einem einsamen Fußgänger vorbei, meist Chinesen, die orangefarbene Plastiktüten schleppten oder in Daunenjacken über den Gehsteig eilten. Beinahe jeder von ihnen starrte uns an, als wüssten sie – wahrscheinlich, weil wir in einem Taxi saßen –, dass wir Eindringlinge waren.
Der Fahrer bog in die Pike Street ab, eine breite, vierspurige Allee. Links von uns stand ein niedriges Backsteingebäude –
Manhattan Reparaturen
stand auf dem Schild –, das Haus rechts von uns sah nach einer staatlichen Schule aus.
»Da ist die Henry Street«, sagte Hopper plötzlich, wobei er seinen Hals reckte, um das Straßenschild zu lesen. Der Taxifahrer bog links ab.
Hongkong Supermarkt. Jasmine Beauty Salon.
Es war nach sieben, und die Läden hatten geschlossen. Die Eisengitter waren heruntergezogen und mit Vorhängeschlössern gesichert.
»Da ist die 91 «, sagte Nora. Sie beugte sich vor, um die menschenleere Straße zu inspizieren. »Die 83 kommt gleich auf der rechten Seite.«
Ashley hatte in das
Klavierhaus
-Gästebuch geschrieben – und Peter Schmid konnte beim besten Willen nicht sagen, wann sie das getan hatte:
Kay Glass
war der Name der verschwundenen Bekannten in »Klein und Böse« – die nicht zu sehende Frau, die ihre neue Kollegin Alexandra und deren Verlobten Mitchell für ein Wochenende in das Strandhaus ihrer Eltern einlädt. In den ersten Minuten des Films kommen Alex und Mitch kurz nach Mitternacht bei dem Haus an, nachdem sie sich den Großteil der Fahrt über gestritten haben. Sie finden das Haus komplett dunkel und verlassen vor. Ihre Bekannte,
Kay Glass
, ist nirgendwo zu finden. Als sie das Haus durchsuchen – eine modernistische Glaskonstruktion, die wie ein Denkmal für den Nihilismus am
Weitere Kostenlose Bücher