Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
Donner gerührt mit seinen Briefmarken dastand. »Nee, ich hab gar nix gesagt. Er war irgendwie … zu fein.«
Die Briefmarken wurden natürlich Ingmars allerliebster Besitz. Und zwei Jahre später fing er in der Post von Södertälje an. Zunächst auf dem rangniedrigsten Posten in der Buchhaltung – um sechzehn Jahre später auch nicht einen Schritt weitergekommen zu sein.
Ingmar war unendlich stolz auf den großen, stattlichen Monarchen. Jeden Tag schaute Gustaf V . majestätisch haarscharf an ihm vorbei von all den Briefmarken, die sein Untertan bei seiner Tätigkeit in der Hand hatte. Ingmar schaute untertänig und liebevoll zurück. Er saß in der königlichen Uniform der Königlich Schwedischen Post am Schreibtisch, auch wenn man die in dieser Abteilung eigentlich gar nicht tragen musste.
Leider schaute der König aber immer nur an Ingmar vorbei . Als würde er seinen Untertan nicht sehen und könnte daher auch seine Liebe nicht empfangen. Ingmar wäre so unendlich gern dem Blick des Königs begegnet. Er hätte sich so gern dafür entschuldigt, dass er sich damals als Vierzehnjähriger nicht bedankt hatte. Hätte ihn so gern seiner Treue bis in den Tod versichert.
Unendlich gern war der richtige Ausdruck. Er wurde immer wichtiger und wichtiger … der Wunsch nach einem Blick, einem Wort, einem Händedruck.
Wichtiger und wichtiger.
Und wichtiger.
Seine Majestät wurde ja die ganze Zeit älter. Bald war es zu spät. Ingmar Qvist konnte nicht mehr einfach abwarten, dass der König eines Tages das Postamt Södertälje betrat. Das war jahrelang sein Traum gewesen, aber aus dem erwachte er jetzt langsam, aber sicher.
Der König würde niemals zu Ingmar kommen.
Blieb nur eines: Ingmar musste zum König kommen.
Danach würden Henrietta und er Kinder machen, versprochen.
* * * *
Die von vornherein dürftige Existenz der Familie Qvist wurde im Laufe der Jahre immer dürftiger. Das Geld ging vor allem für Ingmars Versuche drauf, den König persönlich zu treffen. Er schrieb die reinsten Liebesbriefe ( frankiert mit unnötig vielen Briefmarken), er rief ihn an (ohne freilich weiter zu kommen als bis zu einem bedauernswerten Hofsekretär), er schickte Geschenke in Form schwedischer Silberschmiedearbeiten, die der König über alles schätzte (und versorgte auf diese Art den nicht ganz ehrlichen Vater von fünf Kindern, dem es oblag, sämtliche Geschenke zu registrieren, die dem König geschickt wurden). Des Weiteren besuchte er Tennisturniere und im Grunde sämtliche Veranstaltungen, bei denen es denkbar war, dass der König zugegen sein könnte. Das bedeutete viele teure Reisen und Eintrittskarten, aber irgendwie kam Ingmar Seiner Majestät doch nie so wirklich nahe.
Die finanzielle Situation der Familie wurde nicht besser dadurch, dass Henrietta vor lauter Kummer und Sorgen mit dem anfing, was damals fast alle taten – nämlich eine oder ein paar Schachteln John Silver am Tag zu rauchen.
Ingmars Chef in der Buchhaltung der Post hatte das ganze Gerede über den verdammten Monarchen und seine Vorzüge derart satt, dass er jeden Urlaubsantrag seines niederen Angestellten Qvist genehmigte, bevor er auch nur fertig formuliert war.
»Ach, Herr Oberbuchhalter, glaubt der Herr Oberbuchhalter, dass er sich vorstellen könnte, mir demnächst zwei Wochen freizugeben? Ich möchte nämlich …«
»Bewilligt.«
Irgendwann hatten sie in der Arbeit angefangen, Ingmar nicht bei seinem Namen zu nennen, sondern seine Initialen zu benutzen. Für Vorgesetzte wie Kollegen hieß er nur noch » IQ «.
»Ich wünsche IQ viel Glück bei dem Unfug, den er diesmal vorhat«, sagte der Herr Oberbuchhalter.
Ingmar war es egal, dass man sich über ihn lustig machte. Im Gegensatz zu den anderen im Hauptbüro der Post in Södertälje hatte er schließlich ein Ziel im Leben.
Von Ingmars Seite wurden noch drei große Anstrengungen unternommen, bevor alles quasi ins Gegenteil umschlug.
Als Erstes begab er sich zum Schloss Drottningholm, baute sich in seiner Postleruniform vor dem Tor auf und klingelte.
»Guten Tag. Mein Name ist Ingmar Qvist, ich komme von der Königlich Schwedischen Post und hätte eine Angelegenheit mit Seiner Majestät persönlich zu besprechen. Wären Sie wohl so freundlich, mich bei ihm zu melden? Ich warte so lange hier«, sagte Ingmar zur Torwache.
»Ist bei dir ’ne Schraube locker, oder was soll das hier werden?«, erwiderte die Wache.
Es entspann sich ein fruchtloser Dialog, an dessen Ende Ingmar ersucht
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